Anne Duden

Geboren 1942 in Oldenburg (DE). Ist Buchhändlerin, studierte Germanistik, Soziologie und Philosophie. Nach Mitarbeit im Wagenbach Verlag und Mitgründung des Rotbuch Verlags lebt sie heute als Autorin in London. (2015)

Werke (Auswahl)

Zungengewahrsam.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, 1999

Wimpertier, Prosa und Lyrik.
1995

Steinschlag.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, 1993

2000

Zungengewahrsam

Kiepenheuer & Witsch Verlag, 1999

Aus: Anne Duden. Zungengewahrsam. Kiepenheuer & Witsch Verlag, 1999

Es ist also zu spät. Es ist geraume Zeit schon zu spät gewesen und geworden. Es ist nichts mehr auf- oder einzuholen, und es gibt keinen Ausweg aus der Entgeisterung. Die Wegzehrungen reichen nicht hin, und auch die Haut ist längst, innen und aussen, abgetragen. In diesem Da- oder vielmehr Wegsein gibt es keinen festen Wohnsitz, nur Stationen, Terminals, Fluglinien und vorü- berziehende Aufenthalte. Ja, es taucht kaum noch einmal eine Sitzgelegenheit auf, und mit jedem Schritt geht es ins Leere, INS GRAUE DES MANGELS, AUSBLEIBENS, FEHLENS.
Und just hier kommt es nun doch noch nicht etwa zu einem Ort, aber es kommt doch noch und erst recht zu jenem Übertritt zur Schrift. Das heisst, es kommt zu Wort und zur Sprache, dass hier die ganze Zeit nichts ging noch verfing und dass eben dadurch ein bodenloser Überschuss an geheimen Tätigkeiten, ungefragten Wahrnehmungen und Empfindungen und sich später daraus ergebenden Empfindlichkeiten am Werke war und ist.
Mit jedem Schritt geht es ins Leere und geht etwas über ins Schreiben, etwas hier ganz und gar Überschüssiges und Überflüssiges. Die Schrift beginnt einzuschreiten, immer von neuem, mit jedem Buchstaben-, Wort-, Satz-Schritt, mit dem sie sich ins Nichts begibt.


Sa, 03.06.00, 10:00

Lesung
Landhaus Landhaussaal
Moderation: Sibylle Birrer
1996

Steinschlag

Kiepenheuer & Witsch Verlag, 1993

Aus: Anne Duden. Steinschlag. Kiepenheuer & Witsch Verlag, 1993

Natürlich schiesst es zu Kopf
kappt die Zahnwurzeln ab
brennt das Herz die Hauptwunde aus.
Hochgetrieben schon länger der Stimmton
von Nachrückendem an der Unterseite gestossen und bedrängt
heisere Wortspäne zerbröselnde Silben Buchstaben
und die angeschabte Stille
wenn die Notwendigkeiten nicht mehr verfangen.

Hölderlin als Siebzigjähriger
AUF DEN GASSEN DER GÄRTEN s
tarren Auges vornübergebeugt
immer geradeaus der einwärts geschlagenen Blickrichtung nach
ohne Weg- und Wendemarke
eine Schlacke mit geladenem Gedächtnis
AN ZIMMERN.
Aufmüpfig der Körperrest
nachts randalierende Zeitruine
damit einmal im Gedicht
im letzten Vers ABER
DIE LIEBE LIEBT allein in der tagsüber geheizten Einöde
wo die Festen am Hinterkopf nur durch Genickschuss zu sprengen waren.


Sa, 18.05.96, 17:00

Lesung
Landhaus Säulenhalle
Moderation: Friederike Kretzen