Asta Scheib
In den Gärten des Herzens. Die Leidenschaft der Lena Christ
Hoffmann und Campe Verlag, 2002
Aus: Asta Scheib. In den Gärten des Herzens. Die Leidenschaft der Lena Christ. Hoffmann und Campe Verlag, 2002
Lenas langer, unten ausgestellter Rock, die eng taillierte Jacke mit der dünnen Spitzenbluse darunter waren in der Wäscherei des Krankenhauses sorgfältig gewaschen, desinfiziert und geplättet worden. Dafür hatte Schwester Theresia gesorgt und Lena sah im spiegelnden Glas des Schaufensters eine grosse, sehr schlanke Frau mit ovalem Hut, keineswegs unelegant, und sie spürte, wie der Zauber des Lebens in der Hohenzollernstrasse langsam in ihr Wirkung zeigte. Die Strasse unter ihren Füssen schimmerte, ein Strom von Kutschen wogte in Richtung Leopoldstrasse, Englischer Garten. Lena fiel ein, dass die Sommerferien zu Ende gegangen waren, die Münchner fuhren wieder in die Theater, in die Oper, in die Restaurants. Für einen Moment befiel sie eine unbestimmte Sehnsucht wie Heimweh, ein Verlangen nach Kerschensteiner. Sie versuchte sich vorzustellen, dass sie in einer der eleganten Kutschen sässe und ihr Begleiter der Professor wäre. Doch ihr wurde klar, dass sie sich das nicht einmal vorstellen durfte. Verrückt war sie schliesslich nicht.