Beate Rothmaier
Caspar
Verlag Nagel & Kimche AG, 2005
Aus: Beate Rothmaier. Caspar. Verlag Nagel & Kimche AG, 2005
Die Flucht rückte weiter und weiter weg, war eines Tages nicht einmal mehr Phantasie, war aus seinem Kopf verschwunden. Dachte er.
Bis er in der ersten Frühe eines Märzmorgens 1784 aus dem Haus trat und zum Stall ging, um mit seiner Arbeit zu beginnen. Wie jeden Morgen begab er sich in seinen Trott, dachte nicht nach vorn, nicht zurück, überlegte nur den Handgriff, den er jetzt tun musste. Die Jacke schliessen, mit beiden Händen den Kübel hochheben, ihn zum Stall tragen, schnell gehen, doch nicht zu schnell. Nicht frieren müssen, doch auch nichts verschütten. Den Griff der Stalltür umfassen, die Stalltür öffnen. Doch bevor es so weit war, bevor er den Stall erreicht hatte, zwang ihn etwas, die Augen zu schliessen und das Gesicht in den Wind zu halten. Er schnupperte, witterte, sog die Luft ein. Tief und tiefer. Luft trinken, die von der Schärfe des eisigen Ostwinds starrte, von schneeigen Höhen, von steingefrorenem Boden, die von Dunkelheit klirrte, von Eiszapfen, erfrorenen Tieren, gläsernen Pfützen erzählte.
Caspar setzte den Kübel ab. Noch einmal blähte er die Nasenflügel, schnüffelte, hielt die Luft in seinem Bauch fest und jetzt drang eine Ahnung des neuen Frühlings zu ihm durch, fein, wie ein einzelner silberner Faden im Wasserfall aus Haaren, die seine Mutter kopfüber bürstete. Er schnaufte, um sich zu vergewissern, dass es kein Irrtum war. Doch nein. Der Hauch war da. Sanft, zärtlich, unbesiegbar. Da wusste er, dass er wegmusste. Er würde fliehen. Ganz bald.