Francesco Micieli

Geboren 1956 in Santa Sofia d’Epiro/Italien, lebt seit 1965 in der Schweiz. Er studierte Romanistik und Germanistik, war Regisseur, Schauspieler und Theaterleiter. Micieli
ist Dozent an der Hochschule der Künste Bern und an
der Schule für Gestaltung Bern/Biel. (2017)
Werke (Auswahl)
Hundert Tage mit meiner Grossmutter.
Zytglogge Verlag, 2016
Der Agent der kleinen Dinge.
Zytglogge Verlag, 2014
Schwazzenbach.
Zytglogge Verlag, 2012
Liebe im Klimawandel. Ein Protokoll.
Zytglogge Verlag, 2010
Die versiegelte Frau, Fragment.
1993
Das Lachen der Schafe.
1989
Ich weiss nur, dass mein Vater grosse Hände hat..
1986
Übersetzungen (Auswahl)
Viem len, že môj otec má
veľké ruky.
Übersetzt von Paulína Šedíková Čuhová.
Premedia, 2018
Hundert Tage mit meiner Grossmutter
Zytglogge Verlag, 2016
Marios Grossmutter liegt im Sterben und bittet ihn, die letzten hundert Tage mit ihr zu verbringen. Mario mietet ein Zimmer in der Nähe des Pflegeheims und führt ein Journal über die gemeinsamen Treffen. Micielis liebevolle Erzählart lässt das ungleiche Paar sich in einem Raum zwischen Wirklichkeit und magischer Welt begegnen.
Aus: Francesco Micieli. Hundert Tage mit meiner Grossmutter. Zytglogge Verlag, 2016
Tage, an denen nichts geschah, waren in meiner Vorstellung heisse Tage, so hell erleuchtete Tag, dass alles blendete und nichts zu unterscheiden war, als wäre man in einer Wüste, allein auf sich gestellt, ohne Horizont. So hell, dass die eigene Hand blendete. So heiss, dass keine Gedanken möglich waren. Die Hölle. Man ist sehr allein an solchen Tagen. Aber ehrlich gesagt, ich werde all die Tage wieder zurückhaben wollen, ja, und du sollst mir dabei helfen.
Fr, 26.05.17, 10:00
Sa, 27.05.17, 13:30
Aus: Quasi parlando. Sechs Postkarten an Franz Schubert. S.a. "Drehpunkt Mai 1994"
1993
Aus: Francesco Micieli. Die versiegelte Frau, Fragment. 1993
Lieber Schubert
I
Man erzahlt, dass Sie eine Sopranstimme hatten. Ich war ein Brummer, dabei hatte ich so gerne gesungen. Meine Kindheit war von Twist, Tarantella und Celentano geprägt. Ihre Musik kam viel später. Während ich mir Ihr Oktett anhöre, denke ich an Ihre wahnsinnige Geschwindigkeit beim Schöpfen
Es musiziert in Ihnen. Es singt in Ihnen. Ich beneide Sie. Mit meiner Schopfkelle hole ich nur kleine Tropfen heraus. Der Weg zum Fluss ist lang.
Wenn man weiss, wie es Ihnen ging - Sie wohnten in dieser Zeit wieder mal bei Ihrem fremdgewordenen Vater - ist man über Ihre Komposition erstaunt. Diese Leichtigkeit in Dur! Ihr Schmerz ist ein zarter Schmerz. Manchmal scheinen sich Abgründe zu öffnen, kaum erahne ich sie, locken Sie mich wieder weg.
Wie tönt Ihnen der nahende Tod?
Die Krankheit entstellt Ihren Körper. Weshalb singt Ihre Musik nicht davon? Vielleicht verstehe ich Ihre Sprache nicht.
So, 15.05.94, 11:00
Das Lachen der Schafe
1989
Aus: Francesco Micieli. Das Lachen der Schafe. 1989
Settimo hatte sich entschlossen. Er wollte Heiliger werden. Settimo war das siebte Kind. Du bist ein Glückskind, hatte ihm seine Mutter gesagt, mit dir hat Gott Grosses im Sinn. Er war in die Schweiz gekommen. Hier wurde er von den anderen Männern ausgelacht, weil er kaum sprechen konnte. Settimo hatte sich in die Serviertochter vom Restaurant zum Bahnhof verliebt. Sie wollte nichts von ihm wissen. Das machte Settimo traurig. Ich brauche keine Frauen, sagte er zu den andern Italienern, ich bin ein Heiliger. Man hatte ihn San Settimo getauft. Settimo, du darfst nicht mehr arbeiten, du bist der Siebte, am siebten sollst du ruhen. Ja ihr habt recht, ich darf nicht arbeiten. Settimo gab alles auf. Die Stelle, die Wohnung, die Serviertochter. Wir hatten uns alle am Bahnhof versammelt, um auf ihn zu warten. Wir wollten uns von ihm verabschieden. Da tauchte er plötzlich auf, ganz leise, bekleidet nur mit einem Sack, den er aus der Mühle mitgenommen hatte. Er schaute uns an und lachte selig. Fratelli, ich gehe und werde Heiliger. Er stand vor uns mit seinen mageren, haarigen Beinchen. Wir schwiegen alle. Keiner von uns wagte zu lachen. Er machte das Zeichen des Kreuzes und ging.
Fr, 25.05.90, 16:00
Ich weiss nur, dass mein Vater grosse Hände hat.
1986
Aus: Francesco Micieli. Ich weiss nur, dass mein Vater grosse Hände hat.. 1986
Wenn du nur ein Stück Brot hast, sagt Ettore, der Hirt von Don Antonio, musst du es in zwei Teile teilen. Dann sagst du dir: Ein Stück ist Fleisch, das andere Brot. Das Fleisch gibst du dem Hund.