László Krasznahorkai (HU)
Melancholie des Widerstands
1992
Aus: László Krasznahorkai. Melancholie des Widerstands. 1992
...der Fragende nicht akzeptieren kann, und er wird schwerlich verstehen, dass auch die letzten Krumen des dichterischen Mörtels unserer europäischen Kultur, der ein unwiederholbares Gemenge aus einer speziellen Art von Empfindsamkeit für Menschenliebe und Schönheiten war, aus dem Ziegelwerk unserer siegreichen Stadtmauern gerieselt sind in dem gnadenlosen Sturm, der aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert weht, das von einer wirklich ganz neuen, für uns erschreckenden Idee der Globalitat... die Idee der Lokalität erlischt und ihren Sinn verliert, da fürderhin nicht mehr gesagt werden kann, etwas sei hier und hier gewesen, weil die vergangene oder vergehende Realität der Dinge heller strahlt als die Sonne. Wie konnte man sinniere ich, verständlich machen, dass die erlöschende Idee der Lokalität ungefähr bedeutet, dass der Teil der Menschen, die hierzu überhaupt imstande ist, seit der letzten gesellschaftlichen Revolution sich schon wieder einmal verändert, schon wiedereinmal wahr nimmt, dass das Kind dem Vater und die Mutter dem Kind, der Junge dem Alten und der Alte dem Jungen, die Frau dem Mann und der Mann der Frau einwenig anders zuwendet… Wie könnte man erklären, dass durch die allgemeine politische Erleichterung nur noch offenkundiger geworden ist, wie heimatlos, wie europalos und weltlos wir alle in diesem geistigen Augenblick sind, und dass uns keinerlei hysterischer Anfall von Anhänglichkeit an diese Heimat, an Europa und die Welt helfen kann..