Matthias Zschokke

Geboren 1954 in Bern, lebt als Schriftsteller und Filmemacher in Berlin. 1982 debütierte er mit dem Roman «Max», für den er den Robert-Walser-Preis erhielt. Seither veröffentlichte er zahlreiche Romane, Theaterstücke und Spielfilme. (2017)
Werke (Auswahl)
Die Wolken waren gross und weiss und zogen da oben hin.
Wallstein Verlag, 2016
Die strenge Frau von Rosa Salva.
Wallstein Verlag, 2014
Der Mann mit den zwei Augen.
Wallstein Verlag, 2012
Lieber Niels.
Wallstein Verlag, 2011
Maurice mit Huhn.
Ammann Verlag, 2006
Ein neuer Nachbar.
Ammann Verlag, 2002
Der dicke Dichter.
Bruckner & Thünker, 1995
ErSieEs.
List, 1986
Prinz Hans.
List, 1984
Übersetzungen (Auswahl)
Matthias Zschokke. Les nuages étaient gros et blancs et filaient dans le ciel. Traduction en cours.
Übersetzt von Isabelle Rüf.
2017
Matthias Zschokke. Trois saisons à Venise.
Übersetzt von Isabelle Rüf.
Editions Zoé, 2016
Matthias Zschokke. Courriers de Berlin.
Übersetzt von Isabelle Rüf.
Editions Zoé, 2014
Die Wolken waren gross und weiss und zogen da oben hin
Wallstein Verlag, 2016
Dies ist ein Roman über einen Mann namens Roman, der ein ziemlich unaufgeregtes Leben führt, viel durch Berlin flaniert und mit einem letzten verbliebenen Freund, seiner lebensüberdrüssigen Mutter oder einer Tante in Übersee korrespondiert. Über einen Mann, dessen Leben in ebenso schnörkelloser wie zuweilen humorvoller Art erzählt werden darf, was selbst gänzlich Unspektakuläres mit einer Poesie und Überraschung bestückt.
Aus: Matthias Zschokke. Die Wolken waren gross und weiss und zogen da oben hin. Wallstein Verlag, 2016
Gestern, als der Boden noch frisch war und feucht, lebte in Berlin ein Mann, der sich – in der Hoffnung, mit diesem Namen Erfolg zu haben und glücklich zu werden – Roman nannte. Seine greise Mutter wohnte tausend Kilometer weiter südwestlich und rief ihn mehrmals in der Woche an, an den Wochenenden fast immer, um zu fragen, wann er endlich bei ihr vorbeikomme und Schluss mache mit ihr; sie lebte nicht mehr gern. Er lachte jedes Mal mit einem kurzen, vernehmlichen Prusten und sagte, das sei nicht so einfach, wie sie sich das vorstelle.
Fr, 26.05.17, 16:00
Sa, 27.05.17, 11:00
Der Mann mit den zwei Augen
Wallstein Verlag, 2012
Mitleidenswertes Opfer oder grotesker Tollpatsch? Das Ausserordentliche an Matthias Zschokkes Buch ist die Erfindung einer Figur, der das Normalste merkwürdig und das Merkwürdigste normal erscheint. Sie stiftet an zu einem radikal verfremdenden Blick auf die Welt.
Aus: Matthias Zschokke. Der Mann mit den zwei Augen. Wallstein Verlag, 2012
Eine rumänische Pflegerin hob den Hörer ab und gab ihn weiter an die Frau im Liegestuhl.
Sa, 11.05.13, 11:00
Lieber Niels
Wallstein Verlag, 2011
Mit seinem neuen Buch «Lieber Nils», das in diesem Frühjahr erschien, erfindet Matthias Zschokke eine neue literarische Form zwischen grosser Erzählung, Tagebuch und Briefroman. Entstanden aus dem Briefwechsel mit seinen Freund Nils Höpfner, dem er fast täglich schreibt, zeichnet der Text eine Alltagsgeschichte der Jahre von 2002 bis 2008 nach – in oft vergnüglicher, selbstironischer oder reflektierender Manier. Die Leserin, der Leser kann sich dem Sog des Textes nicht entziehen.
Aus: Matthias Zschokke. Lieber Niels. Wallstein Verlag, 2011
Gestern abend in einem Klavier/Orgel-Konzert. Ein grandios donnerndes Orgelstück von Olivier Messiaen gehört. Ausserdem ein paar Liszt-Stücke auf dem Flügel. Grauenvoll. Eine fette, stark überwürzte Ton-Gulaschsuppe. Entsetzlich. Gespielt von einem alten Mann mit grauen, langen Wuschelhaaren. Er legte sich heftig in die Tasten, schüttelte sein mächtiges Haupt und seine langen Finger und begeisterte das Publikum, vor allem den weisshaarigen, tauben Teil. Beim Blick aufs Programm entdeckte ich sein Geburtsjahr: 1954 – und wurde nachdenklich.
Sa, 04.06.11, 16:00
Maurice mit Huhn
Ammann Verlag, 2006
Aus: Matthias Zschokke. Maurice mit Huhn. Ammann Verlag, 2006
Um seinem Leben eine neue Wendung zu geben, tritt er vor die Tür. Die Sonne scheint. Er geht über den Platz und setzt sich vor dem jahrtausendealten Café auf einen Stuhl. Die weisse Sonne sticht. Es ist März. Die jahrtausendealten Spatzen kommen angeflogen und hüpfen vor seinen Füssen umher. Sie tschilpen. Auf einem kahlen Strassenbaum sitzt einer der jahrtausendealten grauschwarzen Raben. Er fliegt los, lässt etwas fallen. Eine jahrtausendealte Eichel wohl. Er folgt ihr, landet auf dem Asphalt, hüpft auf das kleine, runde Ding zu, hält es mit einer Kralle fest, hackt mit dem grossen Schnabel darauf ein, schaut es an, hackt, schaut. Eine Gruppe junger Frauen nähert sich. Der Rabe packt das Ding mit einer Kralle und schwingt sich in die Luft. Der Wind weht kühl von der Seite. Maurice’ Lenden fühlen sich kalt an. Er schaut den jahrtausendealten jungen Frauen nach. Sie gehen geschäftig. Eine spricht in ein tragbares Telefon und streicht sich dabei eine Strähne aus dem Gesicht, eine andere schmeisst ihre Haare mit einem Schlenker nach hinten. Maurice versteht es nicht, Zeit zu haben und sich auf das träge dahinziehende Leben einzulassen.
Sa, 27.05.06, 14:00
Ein neuer Nachbar
Ammann Verlag, 2002
Aus: Matthias Zschokke. Ein neuer Nachbar. Ammann Verlag, 2002
Gestern noch sass er auf der Hotelterrasse, schaute der Sonne zu, wie sie im Meer versank, versuchte, etwas dabei zu empfinden, Poetisches, Melodiöses, doch er sah nur die Kugel wegtauchen und war gleichmütig; dann stand er auf, und sie gingen zusammen essen, einen gegrillten Fisch mit Knoblauch und Bratkartoffeln, Salat, dazu tranken sie Wein; dann verliessen sie das Restaurant, er schaute in den schwarzen Himmel, sah zwei, drei Sternschnuppen fallen, dachte daran, dass er sich bei der nächsten etwas wünschen sollte, überlegte, was er sich denn wünschen könnte, betrachtete das Gefunkel, sah keine weiteren Sternschnuppen fallen; sie schlenderten am Ufer entlang zurück, legten sich ins Bett, hörten dem Meer zu und freuten sich aufs Einschlafen. Am folgenden Morgen war er kalt. So schnell geht das.
Sa, 11.05.02, 16:00
Der dicke Dichter
Bruckner & Thünker, 1995
Aus: Matthias Zschokke. Der dicke Dichter. Bruckner & Thünker, 1995
Ich kenne einen Mann und eine Frau, die hatten einander sehr gern. Jedesmal wenn ich sie traf, hatte ich das Gefühl, ich störe sie in ihrem Glick. Sie tauchten immer zu zweit auf, hielten sich bei der Hand, standen nebeneinander, er an ihrer linken Seite. Das dauerte jahrelang so. Sie langweilten mich mit ihrem bedürfnislosen, harmlosen kleinen Glück. Sie fuhren sommers ans Meer, tauchten im Herbst gebraunt wieder auf, in den Strassen im Treppenhaus, Hand in Hand, er an ihrer linken Seite, beide jeweils mit einer kleinen Zornesfalte auf der Stirn, die darauf zurückzuführen war, dass sie sich gestört fühlten durch das Auftauchen eines Bekannten. Sie versteiften sich bei meinem Anblick, die Gesichtszüge froren ein, sie äusserten eine, zwei Belanglosigkeiten, dann verabschiedeten wir uns, sie bogen schnellen Schrittes um die nächste Ecke, ohne sich bei der Hand zu fassen, und ich hatte jedesmal den Eindruck, sie könnten es kaum erwarten, ausser Sicht zu gelangen, um dann gemeinsam Grimassen zu schneiden, zu kichern und sich über mich lustig zu machen.
Und plötzlich waren sie zerbrochen. Von einem Tag auf den nächsten. Sie gingen bleich nebeneinander her, die Gesichter starr wie Masken, das Leuchten in den Augen war erloschen.
Fr, 26.05.95, 11:00
ErSieEs
List, 1986
Aus: Matthias Zschokke. ErSieEs. List, 1986
Mein Freund.
Ich habe einen Freund, der in den besten Kreisen verkehrt. So hoch oben, dass es ihn besudeln würde, wenn ich hier seinen Beruf erwähnte. Er ist mündlich ziemlich plump und unbeweglich, obwohl er dünn und zart gebaut wie eine Blockflötenlehrerin.
Er zieht es darum vor, schriftlich zu verkehren, wo er leicht und charmant tanzt. Mit so einem Freund fühlt man sich gleich besser. Ich hab ihn nun mal, und er steht mir gut. Seine Lieblingsworte sind die mit C wie Cynismus oder Cino. Sie scheinen ihm besonders aristokratisch. Ich muss das glauben. Schliesslich gibt es auch Menschen die ein Schnappgelenk besitzen. Seine Kunden nennt er Cunden, und er verbeugt sich vor ihnen. Er kommt recht ungehindert in der Weltgeschichte umher. Man empfängt ihn gern, scherzt mit ihm über Millionen; flaumige Knaben und zarte Mädchen hängen ihm mit sehnsüchtigen Blicken nach; in Drogenhändlerkreisen fühlt er sich ebenso geborgen wie in Boxwettstuben; auf Trabrennbahnen und Burgzinnen ist er willkommen...
Fr, 05.05.89, 14:00
Sa, 06.05.89, 09:00
Prinz Hans
List, 1984