Thomas Meinecke (DE)
Musik
Suhrkamp Verlag, 2004
Aus: Thomas Meinecke. Musik. Suhrkamp Verlag, 2004
Zwei Stunden später sind wir bei Heidi zu Hause, in ihrem beige getünchten Schwabinger Appartement, haben unsere Uniformen ausgezogen und lungern übermüdet auf dem mit weinrotem Satin bezogenen, ovalen Bett herum. In Heidis tragbarem Fernsehgerät läßt Yves Saint Laurent noch einmal fast sämtliche Modelle vorführen, die ihn zu einem der einflußreichsten Designer der Geschichte gemacht haben: Durchsichtige Blusen, Smokings für Frauen. Heidi glaubt, einen gepinselten Schönheitsfleck auf Claudia Schiffers rechter Wange erkennen zu können. Auf dem benachbarten Kanal ist, für mich vollkommen überraschend, Pierre Bourdieu gestorben. Die Moderatorin erinnert daran, daß er einst vorgeschlagen hatte, alle Neoliberalen in den Favelas von Rio de Janeiro auszusetzen. Ich kann sogar einen Satz Bourdieus auswendig: Die Objektivierung des objektivierenden Subjekts läßt sich nicht umgehen: nur indem es die historischen Bedingungen seines eigenen Schaffens analysiert, vermag das wissenschaftliche Subjekt seine Strukturen und Neigungen sowie die Determinanten, deren Produkte diese sind, zu meistern. Super, antwortet Heidi gedehnt. Sie hat für derlei momentan eigentlich gar kein Ohr.