Urs Jaeggi

Urs Jaeggi, geboren 1931 in Solothurn. Studium in Genf, Berlin, Bern. Professor für Soziologie in Bern, Bochum, New York, Berlin. Schrieb neben wissenschaftlichen Werken Erzählungen, Romane, Essays. Lebt als Schriftsteller und bildender Künstler in Berlin und Mexico City. (2016)
Werke (Auswahl)
Heimspiele.
Ritter Verlag, 2015
Kunst in überall. Essays.
Ritter Verlag, 2014
Weder noch etwas.
Ritter Verlag, 2011
Eudora.
Huber Verlag, 2010
Durcheinandergesellschaft. Versuche, die Gegenwart zu verstehen.
Huber Verlag, 2008
Lange Jahre Stille als Geräusch.
Alexander Verlag, 1999
Soulthorn.
1990
Versuch über den Verrat.
1984
Brandeis.
1978
Heimspiele
Ritter Verlag, 2015
Jaeggis Texte haben mit randständigen und prekären Existenzen zu tun. Es treten unter anderen auf: ein Obdachloser, der ein Mörder sein soll, ein zwischen den Geschlechtern schwankender Bankbeamter, ein vor den Nazis in die USA geflohener Musikologe. Die Erzählungen spielen dort, wo der Autor daheim war oder ist, in Berlin, New York, Solothurn. Dass der Autor auch bildender Künstler ist, merkt man am visuellen Reiz, den seine Sprache vermittelt.
Aus: Urs Jaeggi. Heimspiele. Ritter Verlag, 2015
Es gibt Bekannte, die Hans für etwas verrückt halten, einen Spinner, aber nett und klug. Andere sagen: er ist verrückt, und fangen an aufzuzählen: Er soll er hat man sagt man vermutet. Die übrigen, die nichts sagen, sehen Hans als Ausländer, sein Englisch zu elaboriert, einigen zu maniriert, andere sagen zu poetisch. Er spiele den Dichter. Einige mögen ihn gerade deswegen… Sein Denken ist klar. Am ehesten neigen jene Bekannte zum Urteil, etwas laufe bei Hans sonderbar, die seine Geräuschsammlung kennen, sein gegenwärtiges Kernstück, und das Gehörte mit seinem früheren Musikgeschmack vergleichen. Wie kann er. Da passt nichts zusammen.
Sa, 07.05.16, 15:00
So, 08.05.16, 12:40
So, 08.05.16, 15:00
Durcheinandergesellschaft. Versuche, die Gegenwart zu verstehen
Huber Verlag, 2008
Der Autor, Maler, Bildhauer und Soziologe Urs Jeaggi — einer der geistigen Väter der 68er-Studentenrebellion — wirft in seinem neuen Buch „Durcheinandergesellschaft“ einen genauen Blick auf unsere Zeit, auf die Entwicklung der Gesellschaft und der Soziologie seit 1968. Was macht die Gegenwart aus? Welche geistigen Strömungen prägen unser Leben heute? Was hat es mit der Sinnfrage auf sich? Das sind einige der Themen, die „Durcheinandergesellschaft“ umkreist — ein sehr persönliches Buch, das einen Zugang sucht zum Verständnis unserer Welt.
Aus: Urs Jaeggi. Durcheinandergesellschaft. Versuche, die Gegenwart zu verstehen. Huber Verlag, 2008
Die kleine Gruppe hat sich entlang des Bahndamms verteilt. Er arbeitet sich keuchend am Starkstrommast hoch, Zentimeter um Zentimeter, mühsam den Oberkörper nach oben ziehend. Der Kopf pendelt hin und her, die Finger, vorsichtig nach der vorgeschriebenen Stelle tastend, gleiten, schweissüberzogen, ab. Das Licht grell grün. Ein Moment sieht es aus, als könne der Körper sich festhalten, dann schleudert der Mast den Fremdkörper von sich. Der Hügel leuchtet rosa. Die starren Augen des gekrümmt am Boden Liegenden scheinen aufmerksam dem Ausbruch des Lichts zu folgen.
So, 04.05.08, 10:00
Aus: Outback, unveröffentlicht
Alexander Verlag, 1999
Aus: Urs Jaeggi. Lange Jahre Stille als Geräusch. Alexander Verlag, 1999
Hand in Hand wieder. Die Linke, etwas Jüngere, bewegt den Kopf. Stottert. Die andere grinst. Ihre Füsse spielen mit einem kleinen Stein. Die eine nickt. Die andere kratzt sich mit der linken Hand am Hinterkopf. Die eine trommelt mit ihrem Stock auf die Erde. Manchmal klatscht eine in die Hände. Kein lautes Wort. Auch die übrigen, die im Park auf und ab gehen, sprechen leise. Es hat viel Zeit. Ein Strick, daran sich einer erhängen wird. Ein Messer, damit einer erstochen. Alles wie von gestern. Lauschen und reden. Einer hinter dem anderen Runden drehend. Die Mutation führt zum Abgang des Fötus. Der Parasit fällt zurück in den Rinnstein. Ein Streifen Rot oder Gelb, je nach Luftfeuchtigkeit. Die eben noch klar sichtbaren geometrischen Muster verwischt. Die Zeit hält uns. Ein Tag mehr.
Sind wir Freunde oder gar die Idealbesetzung? Der Wind weht über die Köpfe. Kein Subjekt. Keine Szene mit Birken oder offenen Fenstern. Keine Wälder. Nein. Keiner Gemeinschaft. Eine Zelle wie jede andere. Hundekot im Hof, Bretter für die Fassadenrenovierung, leere Flaschen und ein ausrangierter Sessel, ein offener Kühlschrank, Steine, Bretter, Stahlrohre, Verfaultes und jede Menge Bagger. Ursachenerklärung zur Erde, zur Luft, zu astralen Räumen, zum Feuer und zu dem, was im Feuer verbrennt,Ursachenerklärung zu den Samen, den Pflanzen und den Früchten, Ursachenerklärung zur Evolution der Tiere.
Fr, 25.05.01, 10:00
Soulthorn
1990
Aus: Urs Jaeggi. Soulthorn. 1990
Wir standen noch immer auf dem Bahnsteig im U-Bahnhof Fehrbelliner Platz und warteten auf den nächsten Zug. 'Es könnte sein, dass ich 1944, wär ich ein Deutscher gewesen, als Deserteur gehängt worden wäre, es könnte ebenso gut sein dass ich als Dreizehnjähriger bis zur letzten Patrone gekämpft hätte. Wer weiss. Als ich die Fahne, die der Junge schwang und die er mir beim Verlassen des Zuges übergab, an mich nahm, sagtest du: 'Ich liebe dich", und ich sagte: 'das ist lieb von dir.' Und dann sagte ich: 'Ich liebe dich und du sagtest: 'Ah, das ist lieb von dir.' Irgendwann fuhr kein Zug mehr. Wir gingen ins Freie. 'Alle Demonstranten auf die rechte und alle Nichtdemonstranten auf die linke Seite schrie es aus einem Megaphon. 'Die Polizei hält den Platz umstellt.' Alle gehorchten, bis eine Bombe explodierte und wir wie aufgescheuchte Krähen in die Luft flatterten. 'Alles kaputt', war das letzte, was ich hörte. Der Polizist hatte gesagt: 'Alles kaputt", aber er sagte es so fröhlich, dass ich wusste: Das wäre eine andere Welt. Nachher beob- achteten wir an der Aare in Soulthorn den Sonnenuntergang, der sich genau so vollzog, wie ich es dir geschildert hatte. Tiefrot versank die Sonne hinter dem Berg, wie es sich gehört.
So, 27.05.90, 10:30
Sa, 30.05.87, 17:15
Versuch über den Verrat
1984
Brandeis
1978