Erica Pedretti

Geboren 1930 in Sternberg (Mähren,CSR) und kam 1945 in die Schweiz. Ausbildung als Silbersschmiedin. Seit 1974 lebt sie als Autorin und bildende Künstlerin in La Neuveville am Bielersee. 2013 erhielt sie einen der erstmals verliehenen Schweizer Literaturpreise für ihr Gesamtwerk. (2015)
Oeuvres (Selection)
Von Hinrichtungen und Heiligen.
2001
Kuckuckskind oder Was ich ihr unbedingt noch sagen wollte.
Suhrkamp Verlag, 1998
Engste Heimat.
Suhrkamp Verlag, 1995
Mal laut und falsch singen .
1986
Sonnenaufgänge Sonnenuntergänge.
1984
Veränderung.
1977
Von Hinrichtungen und Heiligen
2001
De: Erica Pedretti. Von Hinrichtungen und Heiligen. 2001
Da steht sie auf dem Podium vor dem Mikrofon, eine junge, nett aussehende Journalistin, und erzählt, wie das Ende war. Er sei ganz ruhig gewesen, habe auch nichts gesagt, nein, keine letzten Worte, nur jedem einzelnen Zuschauer draussen vor der Scheibe habe er in die Augen geschaut, erzählt sie, ohne sichtbares Schaudern, ohne merkbare Anteilnahme berichtet diese nette Person von der Exekution eines 33-Jährigen wie von irgendeinem anderen alltäglichen Ereignis. Ich bin der Herr meines Schicksals. Ich bin der Kapitän meiner Seele. Mein Kopf ist blutig aber ungebeugt. Er sei ruhig und gefasst gewesen, in sein Schicksal ergeben. Wie oft hat er wohl das, was ihm jetzt geschah, in Gedanken vorausgesehen, vorauserlebt? Er ist ruhig und gefasst, warum sollten die Zeugen seines Todes nicht ruhig und gefasst sein? Jetzt können wir befreit aufatmen. Damit ist die Angelegenheit abgeschlossen. Nicht aber die Tele-visionshow.
Je, 29.05.03, 20:30
Sa, 31.05.03, 13:00
Kuckuckskind oder Was ich ihr unbedingt noch sagen wollte
Suhrkamp Verlag, 1998
De: Erica Pedretti. Kuckuckskind oder Was ich ihr unbedingt noch sagen wollte. Suhrkamp Verlag, 1998
So verlor Trude, kaum fünfjährig, ihre erste, geliebte Pflegemutter. Und verlor den Ort, wohin sie gehörte, wohin sie in Wahrheit gehört. Die Kleine kam zu mir, und ich meinte, als ich sie aufnahm, etwas Gutes zu tun. Sie war herzig (....), aber etwas an ihr gefiel mir nicht, auf den ersten Blick gefiel mir diese Puppe nicht. Das war nicht nur ihre altklug prononcierte Sprache. Das war auch nicht ihre püppchenhafte Aufmachung. Dafür konnte sie ja nichts.
Auch meiner Mutter, sonst eher kinderliebend, gefiel Trude von Anfang an nicht: Der vorwurfsvoll fordernde Blick dieser Kleinen, das Geplärr und, für nichts und wieder nichts, ihr wändedurchdringendes Geschrei.
Ich sollte das arme Kind doch lieben, ich wollte mich ihrer wirklich lieb annehmen, so liebevoll wie ich die anderen Kinder besorgte, wollte ich mich auch dieser kleinen, sächsisch singenden Person annehmen.
Pass auf, warnte Mama, das ist ein Kuckucksei!
Es ist ja nur vorübergehend, dachte ich, der Krieg kann nur noch ein paar Wochen, zwei drei Monate dauern, es ist doch nur für die Zeit, die ihr Vater beim Militär und hier einquartiert ist.
Sa, 23.05.98, 09:00
Engste Heimat
Suhrkamp Verlag, 1995
De: Erica Pedretti. Engste Heimat. Suhrkamp Verlag, 1995
Kurz bevor sie aufhörte, ein Kind zu sein, hat Anna sich geschworen, das, was sie jetzt fühlte und dachte, wie ein Kind fühlt und denkt, nie zu vergessen, so wie Erwachsene eben normalerweise vergessen, nein, sie wollte diesem Kind, sich treu bleiben.
Du sollst nicht schwören, nicht versprechen, was du nicht halten kannst. Oder doch? Wenn du erst einmal weisst, was draussen vorging, was ausserhalb der Gartenmauern und Hecken hier und dort und an weiss Gott wieviel Orten zugleich immer noch weiter geschieht? Erinnert sie wirklich noch, wie sie war, bevor sie das, was sie nur geahnt hatte, in seinem ganzen grausamen Ausmass wusste?
Ve, 26.05.95, 10:00
Sa, 27.05.95, 20:30
Sonnenaufgänge Sonnenuntergänge
1984
De: Erica Pedretti. Sonnenaufgänge Sonnenuntergänge. 1984
...Nur Barbara würde weniger, vielleicht gar nicht mehr tanzen, hätte er, was er doch vorhat, diesen Ort erst einmal verlassen, was er aber, dieses Verlassen, Abfahren, dieses Nichtmehrhiersein, kaum denken, sich nicht wirklich vorstellen kann, und wer könnte das? geht nicht mit mir selber auch alle Welt verloren, indem ich sie nicht mehr sehe, rieche, höre und fühle? und ist sie nicht ohnehin für ihn längst verschwunden? geschrumpft zu diesem winzigen Ausschnitt, den er zur Ausbreitung seiner Güter benötigt und überblickt, den er nun abschreitet mit etwas wie Stolz, während ein Zug unbeach-tet eintrifft, wieder abfährt, ja dieses gehört hier-, jenes dorthin, besser noch so, den Ueberseekoffer doch lieber ans Ende, nein lieber, ja doch, jetzt gehts, mit Musik geht es besser...
Ve, 25.05.90, 17:00
Sonnenaufgänge Sonnenuntergänge
1984
De: Erica Pedretti. Sonnenaufgänge Sonnenuntergänge. 1984
...Nur Barbara würde weniger, vielleicht gar nicht mehr tanzen, hätte er, was er doch vorhat, diesen Ort erst einmal verlassen, was er aber, dieses Verlassen, Abfahren, dieses Nichtmehrhiersein, kaum denken, sich nicht wirklich vorstellen kann, und wer könnte das? geht nicht mit mir selber auch alle Welt verloren, indem ich sie nicht mehr sehe, rieche, höre und fühle? und ist sie nicht ohnehin für ihn längst verschwunden? geschrumpft zu diesem winzigen Ausschnitt, den er zur Ausbreitung seiner Güter benötigt und überblickt, den er nun abschreitet mit etwas wie Stolz, während ein Zug unbeach-tet eintrifft, wieder abfährt, ja dieses gehört hier-, jenes dorthin, besser noch so, den Ueberseekoffer doch lieber ans Ende, nein lieber, ja doch, jetzt gehts, mit Musik geht es besser...
Ve, 01.06.84, 14:00
Veränderung
1977