Jürg Federspiel
1931-2007. Geboren in Kempthal (ZH). Er arbeitete als Filmkritiker und Reporter. Nach Aufenthalten in Berlin, Frankreich, Grossbritannien und den USA lebte er in der Basel als freier Schriftsteller. Er verstarb 2007.
Er wurde u.a. 1969 mit dem Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis und 1986 mit dem Preis der Schweizerischen Schillerstiftung für das Gesamtwerk ausgezeichnet. (2016)
Opere (Selezione)
Im Innern der Erde wütet das Nichts.
Waldgut Verlag & Atelier Bodoni, 2000
Geographie der Lust.
Suhrkamp Verlag, 1989
Im Innern der Erde wütet das Nichts
Waldgut Verlag & Atelier Bodoni, 2000
Da: Jürg Federspiel. Im Innern der Erde wütet das Nichts. Waldgut Verlag & Atelier Bodoni, 2000
Kafkas Türparabel
Du bist mein Haus und
drei Türen führen zu dir.
Eine bleibt immer geschlossen.
Aus der zweiten fliegen Schatten
von Libellen, Fledermäusen,
Schmetterlingen und Schwalben.
Und hinter der dritten Tür
deine Kindheit, Mädchen,
Puppe im Arm, Sonnenglanz
auf Haut, Haaren und Rundung.
Drei Türen zu deinem Haus:
Doch eine bleibt immer geschlossen.
Jene, die einst für mich bestimmt war:
Immer, von immer bis immer.
Ich liebe dich.
Ve, 02.06.00, 20:30
Geographie der Lust
Suhrkamp Verlag, 1989
Da: Jürg Federspiel. Geographie der Lust. Suhrkamp Verlag, 1989
Ein sehr mächtiger Mann, der angeblich aus Rom stammte und in Mailand lebte verliebte sich an seinem siebzigsten Geburtstag in den eigenen Reichtum. Er durchwachte die ganze Nacht, blätterte in all den Papieren, die Geld bedeuten, er wog, nachdem er die Dienstboten ausser Haus geschickt hatte, seinen Silber- und Goldbesitz auf einer Waage, prüte die Karätigkeit des Goldes und notierte alles in einem Buch, das ausser mit einem Geheimschloss auch mit einer elektronischen Alarmanlage versehen war. Nachdem er so die ganze Nacht im Keller seiner Villa verbracht hatte, stemmte er die schwersten und teuersten griechischen und ägyptischen Vasen in die Höhe und küsste ihre Standflachen. Über dem Safe, der hinter einer Klosettschüssel verborgen war, schlug er dreimal das Kreuz.
Dann begab er sich zum Dachboden, der befestigt war wie seinerzeit die Maginotlinie. Hier standen unzählige Kunstwerke, aneinandergereiht wie Bücher: Bilder von Rembrandt, Manet, van Gogh, Gauguin, Goya, Klimt, aber auch Bilder moderner Maler.
Ve, 29.05.92, 10:00
Geographie der Lust
Suhrkamp Verlag, 1989
Da: Jürg Federspiel. Geographie der Lust. Suhrkamp Verlag, 1989
Ein sehr mächtiger Mann, der angeblich aus Rom stammte und in Mailand lebte verliebte sich an seinem siebzigsten Geburtstag in den eigenen Reichtum. Er durchwachte die ganze Nacht, blätterte in all den Papieren, die Geld bedeuten, er wog, nachdem er die Dienstboten ausser Haus geschickt hatte, seinen Silber- und Goldbesitz auf einer Waage, prüte die Karätigkeit des Goldes und notierte alles in einem Buch, das ausser mit einem Geheimschloss auch mit einer elektronischen Alarmanlage versehen war. Nachdem er so die ganze Nacht im Keller seiner Villa verbracht hatte, stemmte er die schwersten und teuersten griechischen und ägyptischen Vasen in die Höhe und küsste ihre Standflachen. Über dem Safe, der hinter einer Klosettschüssel verborgen war, schlug er dreimal das Kreuz.
Dann begab er sich zum Dachboden, der befestigt war wie seinerzeit die Maginotlinie. Hier standen unzählige Kunstwerke, aneinandergereiht wie Bücher: Bilder von Rembrandt, Manet, van Gogh, Gauguin, Goya, Klimt, aber auch Bilder moderner Maler.