Anne Weber (DE)

Anne Weber, geboren 1964 in Offenbach. Nach dem Studium der französischen Sprache und Literatur an der Sorbonne war sie als Lektorin in verschiedenen französischen Verlagen und als Übersetzerin tätig. Ihre Bücher entstehen in Deutsch und Französisch. Sie lebt in Paris. (2020)
Werke (Auswahl)
Annette, ein Heldinnenepos.
Matthes & Seitz Berlin, 2020
Kirio.
S. Fischer Verlag, 2017
Kirio.
Edition du Seuil, 2017
Vaterland.
Edition du Seuil, 2015
Ahnen. Ein Zeitreisetagebuch.
S. Fischer Verlag, 2015
Vallée des merveilles.
Edition du Seuil, 2012
Tal der Herrlichkeiten.
S. Fischer Verlag, 2012
August. Ein bürgerliches Puppentrauerspiel.
S. Fischer Verlag, 2011
Luft und Liebe.
S. Fischer Verlag, 2010
Tous mes vœux.
Actes Sud Editions, 2010
Auguste. Tragédie bourgeoise pour marionnettes.
Le bruit du temps, 2010
Gold im Mund.
Suhrkamp Verlag, 2005
Besuch bei Zerberus.
Suhrkamp Verlag, 2004
Übersetzungen (Auswahl)
Pierre Michon. Körper des Königs.
Übersetzt von Anne Weber.
Suhrkamp Verlag, 2015
Pierre Michon. Rimbaud der Sohn.
Übersetzt von Anne Weber.
Suhrkamp Verlag, 2008
Pierre Michon. Leben der kleinen Toten.
Übersetzt von Anne Weber.
Suhrkamp Verlag, 2004
Annette, ein Heldinnenepos
Matthes & Seitz Berlin, 2020
Die 42. Solothurner Literaturtage fanden aufgrund der Corona-Pandemie online satt.
Literarisch eindrücklich zeichnet Anne Weber das bewegte Leben von Anne Beaumanoir nach. In einzelnen Szenen erzählt sie, wie die 1923 geborene Französin während des 2. Weltkriegs der kommunistischen Résistance angehörte, 1959 wegen ihres Engagements für die algerische Befreiungsbewegung zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, als Neurophysiologin arbeitete und bis heute öffentlich auftritt.
Aus: Anne Weber. Annette, ein Heldinnenepos. Matthes & Seitz Berlin, 2020
Sie ist sehr alt, und wie es das Erzählen will,
ist sie zugleich noch ungeboren. Heute,
da sie fünfundneunzig ist, kommt sie
auf diesem weißen Blatt zur Welt –
in eine undurchdringliche Leere, in die sie
lange runde Maulwurfblicke wirft und die sich
nach und nach mit Formen und mit Farben,
mit Vater Mutter Himmel Wasser Erde füllt.
Do, 14.05. – Mo, 08.06.20
Besuch bei Zerberus
Suhrkamp Verlag, 2004
Aus: Anne Weber. Besuch bei Zerberus. Suhrkamp Verlag, 2004
Im Café von Cerbère hängt ein Fernsehapparat an der Decke und wird lebendigen, bild- und tonverströmenden Leibes von Spinnen gefangengenommen; wie eine di-
cke Fliege sitzt er nun im Netz und wartet darauf, gefressen zu werden. Hinter dem Schleier der Spinnenfäden bemühen sich zwei junge Leute um lustvolle Gebärden, dann schicken sie sich an, das Sprechen und das Laufen und das Denken zu verlernen, was ihnen unter ohrenbetäubendem Lärm auch gelingt. Selbstbewusst stolzieren sie auf dem silbrig umwobenen Bildschirm hin und her und ahnen nicht, dass ihnen keiner zuhört noch zusieht, die Männer kehren der Spinnenbeute den Rücken zu und sind abendelang in ihr Eigenleben vertieft, manche von ihnen sitzen schon seit Tagen derart regungslos an der Theke, dass die Spinnen auch sie schon fast restlos umgarnt haben, dick liegt der Staub auf ihren runden Schultern und Nasen. Dann wieder hebt ein minimales Treiben an, die Wirtin wischt den Thekenmännern mit einem feuchten Lappen übers Gesicht und schiebt ihnen volle Gläser hin. Auf dem Boden liegen lechzende Hunde. Jeder weiss hier vom anderen und bezweifelt ihn nicht. Ich sitze in der Ecke und lasse mich meinerseits von den Spinnen umweben in der Hoffnung, wenn ich lang genug dort verharre, vielleicht eines Tages zu den Alteingesessenen und -getrunkenen zu gehören.