Jürgen Theobaldy

1944 in Strassburg (FRA) geboren, aufgewachsen in Mannheim. Studium der Literaturwissenschaft an den Universitäten Heidelberg, Köln und Berlin. Der Lyriker, Essayist und Erzähler lebt in Ostermundigen bei Bern. (2014)
Werke (Auswahl)
Aus nächster Nähe.
Verlag Das Wunderhorn GmbH, 2013
Trilogie der nächsten Ziele.
Zu Klampen! Verlag, 2003
Immer wieder alles.
Zu Klampen! Verlag, 2000
Der Nachtbildsammler.
1992
Das Festival im Hof.
1985
Midlands/Drinks.
1984
Aus nächster Nähe
Verlag Das Wunderhorn GmbH, 2013
Der Lyriker Jürgen Theobaldy legt mit «Aus nächster Nähe» seinen vierten Roman vor. Dieser spielt in Berlin zur Zeit der Wende und erzählt die unglückliche Geschichte der Liebenden Richard und Mona. Theobaldys Sprache besticht durch lyrisch dichte Stimmungsbilder und überraschende Durchblicke.
Aus: Jürgen Theobaldy. Aus nächster Nähe. Verlag Das Wunderhorn GmbH, 2013
Es war ihr Gesicht, in das Richard blickte, als Mona durch den trübe ausgeleuch-teten Gang des Nachtbusses auf ihn zugekommen war, den giftgrünen Matchsack über der Schulter, die Lederjacke offen, der Reissverschluss blitzte. Kaum wurde ihm gewahr, dass sie sich auf den Platz neben ihm setzen wollte, konnte er gar nicht so schnell denken, wie er nach dem Wörterbuch dort griff, das nicht seines war, und auf den Sitz dahinter warf. Diese Tat war sein Anteil am Anfang ihrer Geschichte gewesen.
So, 01.06.14, 12:00
So, 20.05.07, 12:30
Trilogie der nächsten Ziele
Zu Klampen! Verlag, 2003
Aus: Jürgen Theobaldy. Trilogie der nächsten Ziele. Zu Klampen! Verlag, 2003
Der Wagen hielt irgendwann an, und als der Motor erlosch, hörte ich den Wind um das Fahrzeug heulen. Von draussen riss jemand die Tür hinten auf, und ein Flügel schlug krachend gegen den Rahmen. Ich sprang, wie die anderen, etwas steif von der Ladefläche. Deutlich waren der Bushaltestand aus Plexiglas zu erkennen, die Stras-se und das Ackerland dahinter, derart von Sand und Staub bedeckt, dass es wie Brachland aussah. Und eben dort drüben zieht sich der Windfang hin: eine zwar hohe, die beiden dunklen Hügelzüge rechts und links jedoch nicht überragende Wand, ähnlich einer Staumauer, die noch nicht ganz geschlossen ist. Wo sie abbricht, schimmerte zwischen den weiter fortlaufenden, frei im Gelände aufragenden Stützen das schmale Tal dahinter in einem stillen, brodelnd in sich bewegten, von düsteren Himmelsschlieren durchzogenen Zwielicht.
Do, 29.05.03, 20:30
Fr, 30.05.03, 10:00
Immer wieder alles
Zu Klampen! Verlag, 2000
Aus: Jürgen Theobaldy. Immer wieder alles. Zu Klampen! Verlag, 2000
Epidemisch
Ein Floh, gemalt, wurde zum Drachen,
der spie die Pest aus wie Feuer.
Ein Virus, stark vergrössert, wird ein Monster.
Selbst wenn Gottes Wege unerfindlich sind–
Was ich verlangen kann: sichere Autobahnen,
Geheimtipps statt Geheimnisse,
Ohnmachten, aus denen ich stehend erwache,
Kugelschreiber, die nicht schmieren,
und etwas mehr Sekretbildung.
Die Engel fallen wie die Würfel.
Das Los entscheidet nicht, es trifft.
Fr, 25.05.01, 14:00
Der Nachtbildsammler
1992
Aus: Jürgen Theobaldy. Der Nachtbildsammler. 1992
Wer immer du bist
Nicht immer sehe ich dich
mit meinen Augen, ich sehe dich auch
mit deinen Augen, Bild um Bild
kreiselt im Stau vor der Netzhaut.
Der Erklärungen sind so manche
und ähneln einander doch, Schatten,
fliessend, über Blatter.
Aber wenn ich das Bild nicht weiss,
dann sehe ich es doch,
mit meinen sogenannten eigenen Augen,
die eben sehen, wie die Wolken
über Gipfeln dort der Alpen
aus Vulkanen aus Schnee hervorgehen.
Unter ihnen warst du daheim -
und bist es wieder.
Du brauchst nun keinen mehr,
der dich mit deinen Augen sieht,
und doch ist nicht umsonst,
was sich daraus ergibt, es ist,
nun eben, wie man sagt, man atmet
und auf einmal hältst du inne.
Komm in deinem schonen Kleid.
Schau dich um.
Sag mir, wen du siehst.
Wer immer wir sind,
wir sind es nicht immer.
Sa, 22.05.93, 22:00
Das Festival im Hof
1985
Aus: Jürgen Theobaldy. Das Festival im Hof. 1985
Mit Tusche
Kohlmeisen, Spechtmeisen, Blaumeisen
Haubenmeisen, Zaunkönige:
kleine Muskeln über meinem Hut
feines Flattern, in das sich
ein Gedanke kleidet. Der Tod des einen
ist schwerer als ein Berg,
der Tod des andern leichter
als eine Feder. Erst der Tod
gibt beiden das Gewicht
einer verkrüppelten Zeder
oder einer Kirschblüte.
Arbeit mit Papier
Aus jedem Gedicht lässt sich
eine Schwalbe machen.
Du musst es nur
richtig falten.
Aus jedem Gedicht, hörst du,
auch aus dem missglückten.
Nun denk dir den Himmel dazu.
Sa, 06.05.89, 11:00
Midlands/Drinks
1984