Ruth Schweikert

1965–2023. Geboren in Lörrach. Sie schrieb Theaterstücke und Prosa und hat für ihr Werk zahlreiche Preise erhalten, unter anderem 2016 den Solothurner Literaturpreis. Sie lebte in Zürich. (2023)
Werke (Auswahl)
Tage wie Hunde.
S. Fischer Verlag, 2019
Wie wir älter werden.
S. Fischer Verlag, 2015
Ohio.
Ammann Verlag, 2005
Augen zu.
Ammann Verlag, 1998
Welcome home. Theaterstück.
1998
Erdnüsse, Totschlagen.
Rotpunkt Verlag, 1994
Fr, 14.05.21, 17:00
Tage wie Hunde
S. Fischer Verlag, 2019
Ruth Schweikert ringt sich jedes Wort von ihrem an Brustkrebs erkrankten Körper ab. Radikal und präzise erzählt sie von Begegnungen mit Ärzt*innen, ihren Ängsten, von Einsamkeit und Scham und tritt dabei als genaue Beobachterin ihrer selbst in Erscheinung. «Tage wie Hunde» erzählt über das Schreiben und Lesen, über die Kraft von Freundschaft und der Literatur.
Aus: Ruth Schweikert. Tage wie Hunde. S. Fischer Verlag, 2019
Ein Sommerabend in Paris; noch ist es beinahe hell, die Straßen voller Menschen; Gelächter und Geflüster in tausendundeiner Sprache: Ich möchte ein Buch zur Welt bringen wie ein Kind; neun Monate lang wächst es in meinem Körper heran und wird von einer Plazenta mit allem Notwendigen versorgt; was für ein Geschenk, welch ein Glück, nicht zu wissen, wie es aussieht; ob es weiblich ist oder männlich, ein Zwischenwesen, ein Doppelgesicht; janusköpfig, so stelle ich es mir vor; so ausgebildet, so fertig, von drüben erzählend
Fr, 31.05.19, 18:00
So, 02.06.19, 10:30
So, 02.06.19, 13:30
Wie wir älter werden
S. Fischer Verlag, 2015
Wenn einer zu spät zum Hörer greift und nur noch der Summton zu hören ist, kann er erleichtert wieder auflegen – oder er geht durch, wer allenfalls noch an ihn denken mag: Einer der wenigen verbliebenen Freunde könnte es sein. Oder eines der Kinder. Oder Sabine, die Tochter seiner früheren Geliebten Helena. Aus dieser Perspektive könnte ein Familienroman erzählen, der vom Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart reicht. Oder auch aus einer anderen.
Aus: Ruth Schweikert. Wie wir älter werden. S. Fischer Verlag, 2015
Auch später erinnerte Friederike sich nicht, was genau sie getan hatte; nur das Bild der jungen Frau blieb in ihrem Gedächtnis, wie sie in ihrem rosa Hängerkleid am Küchenboden lag und wimmerte, ihr bleiches Gesicht mit der fein gezeichneten Nase, aus der helles Blut sickerte. Anita Seiffert hatte sich längst wieder aufgerappelt; nur das Bild ihres schmalen, fast kindlichen Körpers verharrte an derselben Stelle auf dem braungrauen Linoleumboden, und etwas in Friederike wusste, dass auch sie selber dort verharrte; dass Anita Seiffert in jenem Moment, als Friederike sie vom Stuhl gestossen und geschlagen hatte, nur ein Abbild gewesen war von ihr selbst.
Fr, 15.05.15, 15:00
Sa, 16.05.15, 17:00
So, 17.05.15, 10:00
Fr, 22.05.09, 17:00
So, 24.05.09, 09:30
Ohio
Ammann Verlag, 2005
Aus: Ruth Schweikert. Ohio. Ammann Verlag, 2005
«Aber wie und womit hat es angefangen» – Meretes Stimme war plötzlich weich geworden und dunkel wie früher und für acht neun zehn elf helle Herzschläge hatten sie einander angesehen, im gelben Licht der Nachttischlampe des Blue Waters Hotels, erschöpft, beinahe zärtlich, traurig und erstaunt, als könnten sie alle Erinnerung versiegeln für den Rest ihres Lebens und noch einmal beginnen, aufmerksamer, mitleidiger vielleicht, klüger und genauer – «was Ihnen so un – so un –». Merete hatte ihr Gesicht von Adrians Blick weg zum Fens-ter gedreht, ihre Lider hatten sich endlich ganz über die Augen gelegt und dann war sie abgetaucht und verschwunden im ruhigen fernen Atem des Schlafs. Kein Wunder. Schliesslich hatten sie beide in den vergangenen zweiundfünfzig Stunden kaum eine Minute geschlafen, und Adrian versuchte schon seit Tagen sich daran zu erinnern, wie der Körper sich anfühlte wenn man halbwegs ausgeschlafen erwachte. Seit dem achtundzwanzigsten September hatte er nicht mehr richtig geschlafen. Das musste beinahe drei Wochen her sein. Die Tabletten, die Dominik ihm verschrieben hatte, Dormi-cum und Lexotanil, schienen die Empfindungen und Störungen, die sie wirksam bekämpfen sollten, Angst, Schuldgefühle, Schlaflosigkeit, Verzweiflung usw., bloss in Schmerz zu verwandeln, der sich auf alle Nervenenden verteilte, wo er pulsierte, stechend und kalt.
Do, 29.05.03, 20:30
Sa, 31.05.03, 10:00
Sa, 27.05.95, 11:00
Erdnüsse, Totschlagen
Rotpunkt Verlag, 1994
Aus: Ruth Schweikert. Erdnüsse, Totschlagen. Rotpunkt Verlag, 1994
Danielas Anziehungskraft auf Männer ist von einer seltsamen Stärke. Es scheint ihr manchmal selbst, als ob sie nur aus einem warmen schwarzen Loch bestünde, als ob von ihren Augen zwei Tunnels direkt zu ihrem Schoss führten. Wenn sie einen Mann nur ansieht, spürt sie seinen Körper schon auf ihrer Haut und Manchen möchte sie jetzt sofort auf der Stelle an ihren ausgemergelten Körper pressen und sich mit seinem alten Schweiss abduschen. Es war einfach, Aebischer zu lieben, er zeigte sich so selbstverständlich nackt, er machte im Wohnzimmer Licht, und zog sich mit der rechten Hand ein Kleidungsstück nach dem andern über den Kopf und über die Füsse, das war wie ein Tanz und das Aus seines wunderbar geschmeidigen Körpers mit der unveränderbar verkrümmten Hand, mit dem rettungslos verkrampften Fuss war ein grosses Ausruhen für Danielas Augen, die an sich selbst so gnadenlos hinuntersahen. Während Daniela ihren Körper unter der Bettdecke verborgen hielt, löschte Aebischer das Licht. "Dich braucht man nicht anschauen», sagte er oft, "eine Augenweide bist du ja nicht, aber diese Hitze in deinem Körper…», "ja", sagte Daniela dann leise, und schämte sich, dass sie keine Augenweide war, aber diese Scham verstärkte ihr verzweifeltes Begehren noch, und sie forderte entschieden "komm jetzt!"