Selma Urfer
Aus dem Romanmanuskript «Fanny & Germaine»
Was muss geschehen, damit ein Mensch, der fest entschlossen ist, nicht über eine Sache zu sprechen, plötzlich den Mund auftut und offen über das redet, worüber zu schweigen er sein Ehrenwort gegeben hat? Zuerst ist da wohl der Schreck. Die Verblüffung, dass andere nicht nur etwas ahnen, sondern etwas gehört haben, das zwar weit von der Wahrheit entfernt, sich so gefährlich mit ihr beschäftigt, dass es sich ihr unversehens nähert.
Was du dir nicht anmerken lassen darfst.
Auch dann nicht, wenn du spürst, dass die andern nur so tun, als ob sie Bescheid wüssten. Nur um dich aufs Glatteis zu führen, behaupten, man habe ihnen etwas zugetragen, was sie, weil ihre Phantasie oder die Absicht, dich aus der Reserve zu locken, dazu verleitet, es derart auszuschmücken, dass du sie unterbrichst. Ihnen ins Wort fällst, sie korrigierst und so das Geheimnis, indem du es richtig stellst, verrätst!
Aber auch darauf ist Rosalie nicht hereingefallen. Hat tapfer, wenn auch mit sichtlich wachsender Beklemmung weiter gelächelt und alle Behauptungen als Vermutungen und leeres Geschwätz abgetan. Woher nur allen Anwesenden der Name Charlotte von Hardenberg so geläufig ist? Rosalie bestreitet ja gar nicht, dass Benjamin mit ihr befreundet ist. Sie schon lange - und jetzt mischt sie geschickt Verschleierung mit Eingeständnis - vor Jahren schon in Braunschweig kennen gelernt hat, als er dort Kammerherr war.