Andreas Heusser
Herr Drankowic
von Andreas Heusser
(November 2004)
Die Wände des Zimmers waren so grau und fleckig wie Herrn Drankovics
Haare, die er montags immer ungekämmt trug und heute war Montag, so
stand es auf dem Nachttischchen, auf dem abreissbaren Kalender, heute
wird gefeiert, rief Herr Drankovic, es war sein Geburtstag, und dass
Herr Drankovic keine Familie hatte, störte ihn nicht, dafür hatte er das Lochergut, seit zwanzig Jahren schon, meinte er, wenn man ihn fragte,
was selten vorkam, weil er im dreiundzwanzigsten Stock wohnte, im
mittleren Block, zweites Fenster von links, das dritte gehörte einer
Frau, das erste gehörte auch einer Frau, im ganzen Block wohnten
überhaupt nur Frauen und wenn er sie im Gang antraf, was selten vorkam,
sprach er sie mit Fräulein an, weil sie alle genau gleich aussahen,
weisse Röcke trugen sie und jung waren sie, und schön im Gesicht, fand
Herr Drankovic, und manchmal erlaubte er sich einen Spruch, dann sagte
er, na junges Fräulein, na, und er kniff die Augen zu einem Spalt
zusammen und freute sich, dass die junge Frau lachte, und dann fragte er sie, ob sie ihn heiraten wolle, und das Fräulein sagte, später
vielleicht, Herr Drankovic, aber erst gehen wir zusammen aufs Zimmer,
ja, und dann nahm sie an der Hand und führte ihn in ein Zimmer, das ihm
schon irgendwie bekannt vorkam, die schweren Eichenmöbel, die grauen
Flecken an den Wänden, der rote Teppich, besonders schön wohnte sie
nicht, dachte Herr Drankovic und wartete, was jetzt kommen würde, und
das Fräulein begann ihn auszuziehen, den blauen Anzug, das Baumwollhemd, die Unterhosen und Herr Drankovic genierte sich ein bisschen, er sagte, na na Fräulein, ich bin nicht mehr der Jüngste, aber das Fräulein
lächelte bloss und führte ihn in das Badezimmer, das braune Kacheln
hatte und ein bisschen nach Urin roch, so dass Herr Drankovic mit der
Hand die Nase zuhielt und eine Grimasse schnitt, aber das Fräulein schob ihn sanft unter die Dusche und warmes Wasser spritzte auf seinen
Körper, das Fräulein hatte kleine, feine Hände und Herr Drankovic mochte es sehr, dass sie seinen Rücken mit einem Lappen schrubbte, sie schämte sich überhaupt nicht, dass er so nackt dastand und Herr Drankovic
staunte, sie roch ein bisschen nach etwas und Herr Drankovic suchte nach einem Wort dafür, vielleicht war es eine Blume, aber Herr Drankovic
fiel der Name der Blume nicht ein, nicht genau, und er ärgerte sich und
begann zu summen, das Fräulein sagte, so, fertig und trocknete ihn ab,
das war schön, weil ihr Haar dabei sein Kinn streifte, sie hatte sehr
schönes Haar, ganz braun und lang, so wie es Herrn Drankovic gefiel und
er sagte es ihr, so schön, sagte er, und wickelte sich eine Strähne um
den Finger, aber das Fräulein zog den Kopf zurück und Herr Drankovic
blickte zu Boden, und weil er nicht wusste, was er hätte tun sollen,
klappte er die Schultern ein und liess die Arme baumeln, aber wissen sie was, Herr Drankovic, fragte das Fräulein, dabei berührte sie seine
Schulter und Herr Drankovic blickte gespannt auf, ich finde, dass Sie
der Schönste sind, stimmt doch, meinte sie und plötzlich stand ein
zweites Mädchen im Zimmer, das genau so weiss und schön war und
bestätigte, dass Herr Drankovic der Allerschönste von allen war, wobei
Herr Drankovic nicht wusste, was denn das hiess, von allen, denn so weit er wusste, war er doch der einzige, der noch im Lochergut wohnte, denn
neben den beiden jungen Mädchen, die bestimmt Schwestern waren, waren da nur diese alten Weiber, die er nicht mochte, und deshalb fragte Herr
Drankowic mit einem listigen Lächeln, sie sind bestimmt Schwestern,
stimmts, und die beiden Frauen schauten sich an und prusteten sich vor
Lachen, wie haben sie denn das jetzt wieder rausgefunden, fragte die
grössere, während die kleinere begann, ihn mit einem vornehmen blauen
Anzug einzukleiden, o la la, sagte Herr Drankovic, und fuhr bewundernd
über die feine Wolle, der ist aber bestimmt teuer, aber natürlich, sagte die grössere, die ihm die Hose zuknüpfte, nur das Beste ist gut genug
für unseren lieben Herrn Drankovic und Herr Drankovic freute sich über
das Kompliment und wunderte sich, es musste wohl an seiner Ausstrahlung
liegen, dass ihm die jungen Frauen noch immer so zu Füssen lagen, denn
insgeheim hoffte er, dass es nicht bloss wegen des Geldes war, denn dass er reich war, daran zweifelte er keinen Augenblick, er musste ja kaum
einen Wunsch aussprechen und schon wurde er erfüllt, schon nahm ihn das
Fräulein wieder an der Hand, während seine Schwester jetzt ein Leintuch
in den Armen hielt und ihn anstrahlte, bis er mit dem Fräulein in den
Gang gelangt war, aber da zuckte sein Fräulein plötzlich zusammen, als
hätte sie sich erschreckt und drehte sich zum anderen Fräulein um, das
noch immer im Türrahmen stand, fast hätte ich das vergessen, sagte sie,
am Kalender darfst du nichts verändern, sonst fängt er wieder an, meinte sie und tippte sich an die Schläfe, der Kalender, fragte das Fräulein
im Türrahmen und auch Herr Drankovic wunderte sich über den seltsamen
Ausspruch und er wollte sein Fräulein danach fragen, aber als es ihn
anlächelte, vergass er es wieder, denn es erfüllte ihn mit Stolz, dass
die junge Frau ausgerechnet ihn ausführte, das genoss er sehr und so gut erzogen waren nur wenige Mädchen, das wusste er, sie hielt Herrn
Drankovic sogar den Stuhl hin, damit er sich setzen konnte, und Herr
Drankovic wollte sich wenigstens revanchieren und der jungen Frau
ebenfalls den Stuhl hinhalten, wie es sich für einen Mann von Welt
gehörte, aber da war das Fräulein schon verschwunden und mit ihm am
Tisch sassen jetzt lauter verschrumpfelte Frauenzimmer, worüber er sich
überhaupt nicht freute, gleich ihm gegenüber hockte so ein altes Weib,
das aufgedunsen wie ein Schwamm war und einen Kopf wie eine zerquetschte Birne hatte, unten dick und oben dünn und blaues kurzes Haar, das Herrn Drankovic überhaupt nicht gefiel und wie sie den Salat ass, gefiel ihm
auch nicht, die Hälfte der Blätter fiel neben dem Teller auf den Tisch
und Herr Drankovic schüttelte sich angeekelt und blickte weg, wobei ihm
auffiel, dass eine andere Frau mit schimmelweissem Haar und einer dicken Hornbrille ihn pausenlos anstarrte, ich habe Geburtstag, sagte Herr
Drankovic der Frau, um ihr zu erklären, weshalb er hier war, ich hab
doch gar nichts gesagt, gab ihm die Frau zur Antwort und begann nervös
mit ihren riesigen blauen Augen zu zucken, Herr Drankovic schüttelte den Kopf, es ärgerte ihn, wenn man ihn nicht verstand, er sagte, nein,
Geburtstag, ich werde ausgeführt, verstehen sie, aber ich hab doch gar
nichts gesagt, jammerte die Frau und stocherte mit der Gabel im Teller,
das Geräusch störte Herrn Drankovic und er grollte, hören sie auf, aber
da zitterte die Hand der Frau noch mehr und das Klirren wurde lauter,
bis endlich das junge Fräulein erschien, und sagte, aber Frau Hartmann,
was ist es denn los, und sie nahm der Frau die Gabel aus der Hand und
streichelte ihren Arm, aber gleichzeitig schaute sie zu Herrn Drankovic
und zwinkerte ihm zu, was Herrn Drankovic freute, auch wenn er
eigentlich wütend war wegen der Frau, ich habe heute Geburtstag, sagte
er nochmals in die Runde der alten Weiber, die ihn entgeistert
anstarrten und die eine stupfte die andere und die andere stupfte die
nächste und dann redeten sie Dinge über ihn, die er nicht verstand, aber die er genau durchschaute, und die mit den rosa Haaren und dem
Schildkrötenkopf fragte ihn, wie alt er denn werde, und Herr Drankovic
hatte wieder dieses Gefühl, weil sein Kopf, sein Kopf manchmal wie ein
Karussell drehte und drehte und drehte und Herr Drankovic sagte fünfzig, oder vierzig oder fünfzig, immer eine runde Zahl, immer eine andere,
denn natürlich, dass er nicht mehr jünger wurde, das wusste er, solche
Dinge vergisst man nicht, sagte er und nickte, aber auf einmal wurden
seine Augen ganz schummrig und sein Kiefer schob sich vor und zurück,
vor und zurück, und seine Hände ballten sich zu Fäusten, die er an das
Tischbein schlug, bis das Fräulein kam und ihm die Hand hielt, das war
schön, denn das Fräulein war auch schön und hatte eine feine Hand, und
Herrn Drankovic war zufrieden und streichelte die feine Haut vom schönen Fräulein und sagte, Sie sind mein Engel, und er gab dem Fräulein einen
Kuss auf die Stirn, wollen sie mich heiraten, flüsterte er, und das
Fräulein wurde rot oder zuckte zusammen, denn es war ein neues Fräulein, aber genau so weiss und jung wie die andere, und für Herrn Drankovic
machte das keinen Unterschied, er liebte sie alle, und heute war
schliesslich ein besonderer Tag, denn heute war Montag und Herr
Drankovic hatte Geburtstag, und er wollte in die Stadt um mit seinen
Eltern zu feiern, sie waren schon alt und er musste sich um sie kümmern, jede Woche ging er sie besuchen und machte den Garten oder half seiner
Mutter beim Kochen, und manchmal kam auch sein bester Freund aus der
Primarschulklasse vorbei, der Torwart im Fussballklub war, weil er fast
so breit wie hoch war, und dann gingen sie zusammen in den Wald, dort
spielten sie Räuber und Ritter und schlugen mit langen Stecken
aufeinander ein, darum stand Herr Drankovic jetzt auf und ging zur Tür,
aber die Tür hatte keine Falle, nur einen runden Kopf aus Metall, Herr
Drankovic zog daran, aber die Tür machte keinen Wank, Herr Drankovic
wurde wütend und schlug mit der Faust in das harte Holz, bis die Knöchel ganz blau waren vor Schmerz und das Fräulein kam und ihn fragte, was
denn los sei, Herr Drankovic zog die Augenbrauen zusammen und wollte es
der jungen Frau sagen, aber auf dem Weg zu seinem Mund verloren sich die Worte und er zuckte bloss mit den Achseln und war sehr traurig, das
Fräulein aber verstand und legte seinen Arm über seine Schultern, kommen Sie, sagte die junge Frau und Herr Drankowic wurde ganz kribbelig, er
spürte ihre kleinen, festen Brüste an seinem Oberarm und ihm waren diese kleinen, festen Brüste schon immer lieber als die grossen, weichen,
darum wäre Herr Drankovic am liebsten mit der Hand über ihr Köpfchen
gefahren und hätte sie gestreichelt, aber das Fräulein quietschte und
schimpfte mit ihm, obwohl Herr Drankovic wusste, dass sie ihm nicht
richtig böse war, das gehörte zum Spiel und Herr Drankovic lächelte wie
ein schelmischer Schuljunge und liess sich ins Restaurant zurückführen,
wo die alten Weiber noch immer am Tisch sassen und über ihn tuschelten,
sollen sie doch, dachte Herr Drankovic und begann mit trotziger Miene
die Blätter in seinen Mund zu stopfen, aber während er kaute, entdeckte
Herr Drankovic, dass am Ende des Ganges eine Tür war, die sich hinter
dem Fräulein schloss wie ein Geheimnis, darum nahm Herrn Drankovic
seinen Notizblock aus der Brusttasche hervor, auf dem kreuz und quer
Namen standen, die er kaum lesen konnte, weil sie mit fremder, wackliger Schrift geschrieben waren und Herr Drankovic suchte nach Wörtern, die
noch nicht durchgestrichen waren, er fand Tür und draussen und Falle und strich sie alle durch, um Platz zu gewinnen für seinen Plan, er schrieb mit grossen Lettern Plan und machte einen Pfeil darunter, er schrieb
Türe und steckte den Notizblock zufrieden wieder ein, eine Frau mit
weissem Haar und einer schwarzen Brille, die ihr quer über das Gesicht
hing, starrte ihn neugierig an, das geht sie überhaupt nichts an, sagte
Herr Drankovic und die Frau flennte, ich hab doch gar nichts gesagt, und Herr Drankovic begann laut zu summen, um ihr Jammern zu übertönen, bis
das Fräulein kam und ihn vom Tisch führte, es war ihm recht, der Hunger
war ihm vergangen, die Frau mit den weissen Haaren klopfte ihren Löffel
auf den Teller, sie kam ihm vor wie ein Huhn, das nach Körnern pickt und Herr Drankovic wendete sich nochmals zu ihr um und rief ihr ins
Gesicht, Sie, Sie Huhn, denn das durften sie ruhig alle hören, und die
Frau mit der Hornbrille weinte und meinte, aber ich hab doch gar nichts
gesagt und die Frauen schauten sich an und begannen zu tuscheln, aber
das kümmerte Herrn Drankovic nicht, er liess sich von dem Fräulein
wegführen, es hatte rote Haare, es hatte sonst nie rote Haare, und er
musste sich die Hand an den Hintern halten, um die Luft vor dem
Entweichen zu hindern, wegen dem Salat, aber das nützte nichts, also
begann er die Luft wegzuwedeln und das Fräulein atmete durch den Mund
und tat so, als merke es nichts davon, so dass Herr Drankowic nichts
davon merkte, und weil er die alten Weiber nicht mehr anschauen musste,
vergass er im Gehen rasch seinen Ärger und genoss es, dass das Fräulein
ihn zu einer vornehmen Polstergruppe führte und ihn in den grossen
Sessel setzte, es war ein sehr schöner Platz, man sah durch ein riesiges Fenster hinaus in den Garten, wo ein Teich war, in dem Vögel schwommen, und Herr Drankovic bedauerte, dass das Fräulein ihn wieder allein
liess, denn er mochte sie sehr, ihre langen Haare standen ihr nämlich
ausgezeichnet ins Gesicht, fand Herr Drankovic, trotz der komischen
Farbe, und der Himmel, der Himmel war so blau wie ihre Augen, und jetzt
wurde Herrn Drankovic plötzlich alles ganz klar, das war nämlich die
Erklärung, dachte Herr Drankovic, und er stand auf und trat an das
Fenster, es schien verschlossen, aber als er nach der Falle griff,
sprang es auf und stand plötzlich offen wie eine Einladung und Herr
Drankovic nahm die Einladung an, denn draussen wartete die Welt auf
Herrn Drankovic und heute war sein Tag, heute hatte er Geburtstag und er wollte in die Stadt zu seinen Eltern, die auch im Lochergut wohnten,
vierter Stock, linker Block, fünftes Fenster, aber wenn dort dort war,
dachte Herr Drankovic, wo war dann hier, fragte er sich plötzlich und
die Frage beunruhigte ihn, das Karussell begann zu drehen und er musste
sich an der Wand stützen, er nahm seinen Notizblock aus der Brusttasche
und schaute nach, was er dazu herausgefunden hatte, aber die meisten
Worte waren durchgestrichen oder er konnte sie nicht lesen, weil die
Buchstaben ganz verwackelt waren, und weil fast kein Platz mehr war,
schrieb er quer über das Gekritzel das Wort Auge und steckte den Block
wieder ein, denn Herr Drankovic wusste auch so, was er zu tun hatte,
schon lange hatte er gemerkt, dass da was faul war, dass man über ihn
tuschelte hinter seinem Rücken und sich Blicke zuwarf, und jetzt, wo er
das herausgefunden hatte, das mit dem, das mit dem und Herr Drankovic
überlegte, aber was es auch war, jetzt gab es kein Zurück mehr für ihn,
mit aller Kraft hievte er sich hoch und zwängte sich durch das Fenster,
er ruderte mit den Armen in der Luft und kippte vornüber, der Aufprall
auf dem harten Rasen schmerzte ihn und einen Moment lang wusste er nicht mehr, wo er war, er begann laut zu summen, um das Pfeifen beim Atmen zu übertönen, denn das Pfeifen beim Atmen machte ihm Angst und so stiess
er seinen Arm mit aller Kraft in den Boden und raffte sich hoch, mit
zittrigen Schritten ging er am Teich vorbei und gelangte an die Strasse, durch die ein Lichterschweif bunter Fahrzeuge schoss und knallte wie
Feuerwerk, er folgte der Strasse und geriet in eine Unterführung, die
gross und glitschig wie ein Walfischbauch war, er durchquerte einen
endlosen Platz, der aus einer klebrigen schwarzen Masse bestand, und
musste sich setzen, weil er es nicht mehr gewohnt war, so weit zu gehen
und eine junge Frau sass neben ihm auf der Bank, aus ihren Ohren
baumelte ein weisser Draht, aus dem fürchterlicher Lärm plärrte, und
neben ihr lag eine silbrige Metallbox, die auch so schrecklich klingeln
konnte, dann zupfte die junge Frau den Draht herunter und hielt sich die Box an die Ohren und begann mit lauter Stimme zu sprechen, als führte
sie ein Gespräch, aber sie schaute Herr Drankovic nicht einmal an dabei, sondern zündete sich eine Zigarette an, was sich für Frauen nicht
ziemte, und schon gar nicht für so junge, das wusste Herr Drankovic und
er sagte es der jungen Frau, die junge Frau nahm die Box vom Ohr und
fragte, hä, und Herr Drankovic wiederholte höflich, das ziemt sich nicht für eine Frau, dass sie rauchen, da wurde das Gesicht der Frau rot wie
eine Blutwurst und sie schrie, das geht Sie einen Scheiss an und Herr
Drankovic fiel bestürzt in sich zusammen und er war froh, dass die junge Frau ihre Krachgeräte in den Rucksack packte, aber als Herr Drankovic
sah, wie sie sich nach vorne bückte, klappte sein Mund auf und sein
ganzer Körper erstarrte vor Schreck, aus den Hosen des Mädchen quellte
sozusagen ihr nackter Hintern, nur eine hauchdünne Schnur verdeckte die
Kerbe zwischen den beiden Backen und Herr Drankovic getraute sich fast
nicht hinzuschauen und begann laut zu summen, aber da hatte sich das
Mädchen schon auf ihr Gefährt geschwungen und war davon gebraust, das
Karussell drehte und Herr Drankovic musste sich an der Holzlehne
festhalten, er wartete einige Augenblicke, bis es vorüberging, dann
stand er auf und wunderte sich, wo plötzlich dieses Gebäude herkam, vor
ihm stand ein gewaltiger Palast aus Eisenpfeilern und Beton und in ihn
hinein und aus ihm hinaus schossen blaue Raketen, die auf Schienen am
Boden gehalten wurden, das hatte er vorhin gar nicht bemerkt und
plötzlich trieb er wie ein einsame Boye in einem Meer von Menschen, die
mit irrsinniger Geschwindigkeit an ihm vorbei fluteten und ihn
mitrissen, bis es ihm gelang, sich an einem jungen Mann festzuhalten,
dessen Kopf glatt und rund wie eine Qualle war und dessen Arme und Rumpf aus riesigen Beulen bestand, junger Mann, keuchte Herr Drankovic,
entschuldigen Sie mich, ich muss mich stützen, aber der Mann fluchte und stiess ihn von sich, Herr Drankovic stürzte und sofort kamen zwei junge Frauen und die eine schimpfte mit dem bösen Mann und die andere half
Herrn Drankovic wieder auf die Beine, Herr Drankovic war sehr verwirrt,
denn die junge Frau, die ihn stützte, hatte kurzes Haar, was ist denn
passiert, fragte er und tastete mit den Fingerspitzen nach ihrem
Fransen, Sie sind gestürzt, sagte die Frau, aber jetzt ist alles gut,
meinte die andere, ich habe Geburtstag, antwortete Herr Drankovic, ach
wirklich, freuten sich die beiden Frauen, vermutlich waren es
Schwestern, dachte Herr Drankovic und fand es richtig, dass sie ihm
gratulierten, sie führten ihn zu einer Bank, wo er sich setzen konnte,
ich möchte nach Hause, keuchte Herr Drankovic, der auf einmal sehr
erschöpft war, keine Sorge, sagte die eine der Frauen, wir begleiten Sie nach Hause, doch die andere schaute auf das Band an ihrer Hand und
machte ein Gesicht, als hätte sie eine Zitrone verschluckt, ist schon
gut, sagte die Kurzhaarige, gehen Sie nur, wir schaffen das auch
alleine, nicht wahr, fragte sie und schaute Herr Drankovic an, der mit
vornüber gekrümmtem Oberkörper dasass und pfiff beim Atmen, nicht wahr,
wiederholte die Frau und Herr Drankovics Augenbrauen streckten ihre
langen Haare wie Schnecken ihre Fühler, er schaute auf und nickte, das
andere Fräulein verabschiedete sich mit einem scheuen Griff an seine
Schulter, was Herr Drankovic traurig stimmte, denn sie war die schönere
der beiden Schwestern, sie hatte langes dunkles Haar und ein Gesicht wie ein Engel, und Herr Drankovic hätte sie gerne gefragt, ob sie ihn
heiraten wolle, aber die Kurzhaarige, die bei ihm blieb, durchbohrte ihn mit Fragen, ihm wurde ganz schummrig im Kopf, sie fragte, wo er wohne
und lange sagte er nichts, dann meinte er Lochergut und die junge Frau
machte Runzeln, als ob sie ihm nicht glaubte, da sagte Herr Drankvovic
dreiundzwanzigster Stock, mittlerer Block, zweites Fenster von links,
und die junge Frau nickte erstaunt und fragte, was er denn hier in Uster mache, aber Herr Drankovic verstand die Frage nicht und schwieg, die
junge Frau sagte, na dann, und stand auf, Herr Drankovic blickte auf, er hatte Angst, dass auch sie ihn verlassen würde und griff nach ihrer
Hand, aber die junge Frau lachte und sagte, keine Angst, ich geh nur
rasch telefonieren, bleiben Sie hier und ruhen Sie sich aus, in einer
Minute bin ich zurück und die Frau verschwand im Menschenstrudel, Herr
Drankovic mochte nicht hinblicken, weil ihm sonst schon schwindelte, er
schaute zu Boden und vielleicht nickte er kurz ein, auf jeden Fall
zuckte er zusammen, als ihn eine junge Frau an die Schultern tippte, sie hatte kurzes Haar und ein freundliches Gesicht, sie sagte, gehen wir,
als würden sie sich kennen, und sie führte ihn an die Strasse, wo ein
grosses Auto stand, wohin fahren wir, fragte Herr Drankovic, der
zögerte, in das Fahrzeug einer wildfremden Frau zu steigen, man kann nie wissen, sagte Herr Drankovic, ein Engelsgesicht macht noch lange keinen Engel, wie bitte, fragte die junge Frau, aber Herr Drankovic schaute
sie mit seinen grossen, treuherzigen Augen an und schwieg, wir fahren
Sie jetzt nach Hause, sagte die junge Frau nach einer Weile, wohnen Sie
denn auch im Lochergut, staunte Herr Drankovic, ich mag mich gar nicht
erinnern an Sie und die junge Frau blickte ihn geheimnisvoll an und
sagte, wer weiss, vielleicht sind wir uns schon mal wo begegnet, was
meinen Sie, und Herr Drankovic zog die Augenbrauen hoch und zuckte mit
den Achseln, aber an mich erinnern Sie sich doch bestimmt, Herr
Drankovic, fragte plötzlich ein anderes junges Fräulein, das neben dem
Mädchen stand und mindestens so jung und hübsch war wie die andere,
wahrscheinlich waren es Schwestern, auch wenn die neue viel längeres
Haar hatte, was Herrn Drankovic besser gefiel, auch wenn er sie beide
sehr mochte, hallo, Herr Drankovic, rief das neue Fräulein, wo sind sie
wieder mit ihren Gedanken, und sie lachte, was Herrn Drankovic freute,
auch wenn er sich ärgerte, weil er nicht mehr wusste was sie ihn gefragt hatte, wo fahren wir denn hin, wollte Herr Drankovic wissen, als die
Kurzhaarige den Sicherheitsgurt über seine Brust spannte, nach Hause,
antwortete die langhaarige Frau, die auf dem Fahrersitz Platz nahm, wir
fahren zusammen ins Lochergut, ach, Sie wohnen auch im Lochergut, fragte Herr Drankovic, aber natürlich, sagte die Frau und lehnte sich nach
hinten, unter ihrem weissen Hemd drückten ihre Brüste fast gar nicht
hervor, das gefiel Herrn Drankovic und er dachte, dass ihm die kleinen,
festen Brüste ohnehin besser gefielen als die grossen weichen, die
beiden Frauen schauten sich an und lachten laut auf, wahrscheinlich
hatten sie sich einen Witz erzählt und Herr Drankovic hatte ihn verpasst und er fand es ungerecht, dass man ihn so ausschloss, darum wurde er
misstrauisch und fragte, in welchem Stock wohne ich denn, wissen Sie das auch, aber natürlich, antwortete die Frau, die Schönere, ich weiss doch alles über Sie, lieber Herr Drankovic, Sie wohnen im dreiundzwanzigsten Stock, mittlerer Block, zweites Fenster von links, stimmts, Herr
Drankovic machte ein ernstes Gesicht und nickte, draussen auf dem
Gehsteig stand die Kurzhaarige und lehnte ihren Kopf in das Fenster von
Herrn Drankovic, sie gab ihm die Hand und flüsterte, auf Wiedersehen,
Herr Drankovic, ich habe mich gefreut, Sie kennen zu lernen, Herr
Drankovic war bestürzt, kommen Sie denn nicht mit, die junge Frau
schüttelte den Kopf, doch, doch, beruhigte ihn die Langhaarige, die am
Steuer sass, sie kommt dann später nach und wir zwei gehn schon mal vor, um gehörig zu feiern, aber warum denn, fragte Herr Drankovic erstaunt,
was gibts denn zu feiern, aber Herr Drankovic, das Fräulein lachte, das
haben sie doch bestimmt nicht vergessen, sagte sie und startete den
Motor, heute ist doch ihr Geburtstag.