Katja Schreiber

2003

Niemand soll mir vorwerfen...

von Katja Schreiber

Niemand soll mir vorwerfen, ich sei roh und gefühllos.
Meine Arbeitsweise mag Zartbesaiteten sauer aufstossen, doch Perfektion hat
nun mal ihre Gesetze: pedantische Vorbereitung, rasches Handeln, Präzision,
Kalkül. Wer in dieser Branche nicht exakt plant, lautlos kommt, effizient
arbeitet und - das vor allem - unbemerkt geht, wird in kürzester Zeit
ausgezählt. So lernt man die komischen, kleinen chemischen Hirnreaktionen
unter Kontrolle zu halten.
Aber gefühllos wird niemand, das kann man mir nicht erzählen.
Nicht mal die Ex-Profis, die gelegentlich in TV-Dokumentationen über ihre
Tätigkeit referieren - diese Pechvögel in Hochsicherheitstraktkäfigen, an
Sprechmuscheln hinter Gitterglas, manche reuig greinend, manche klar und
lächelnd, manche, wenige, irre grinsend - nicht mal sie sind frei von den
nagenden Antworten auf die vielen Fragen, die unser Metier aufwirft.
Man entwickelt Abwehrmechanismen gegen den Stress eines anspruchsvollen
Jobs, routinierte Automatismen um das Selbstwertgefühl aufzupolieren, findet
Entspannungstechniken von Autogenem Training bis Yoga, wie jeder Manager,
Geschäftsführer, selbständige Unternehmer.
Leider gibt es für uns keine Netzwerke oder Interessengruppen, jeder, der
ernsthaft und mit einer Mission zu Werke geht, ist auf sich allein gestellt
- aber ich habe mir angewöhnt, immer die positive Seite zu sehen, dank Dale
Carnegie, beliebte Lektüre meiner Kunden, wie ich festgestellt habe.
Es gibt jede Menge Raum für Verbesserungen.
Gerade wir Frauen, frisch und unverbraucht in der Branche, werden viel
verändern, da bin ich sicher, auch wenn ich selbst nicht damit anfangen mag
- ich bin nicht der soziale Typ und ziehe es vor, mit den lästigen kleinen
deformations professionelles selber fertigzuwerden.
Ich sorge mich also nicht, oder bemühe mich wenigstens darum, es nicht zu
tun. Heisse Vollbäder danach tun gut, Orangenblütentee, Baldrian zuweilen -
ich erlaube mir bei der Arbeit nur pflanzliche Mittel: starke Medikamente
und Drogen, oder nur schon Alkohol, das harte Zeug, das die Männer in der
Branche bevorzugen, trüben Wahrnehmungsfähigkeit und Reflexe, das A und O
für die Arbeit - und aus dem Verkehr gezogen wird man schneller als Clint
Eastwood sagen kann, zieht die Knarre oder ihr pfeift den Dixie.
Der Feind schläft nicht, das mussten auch einige der Besten unter uns schon
erfahren, und deshalb können sie nun nur noch im Fernsehen über ihr Werk
theoretisieren.
Ich bin nicht fürs Reden, mir liegt die Tat, und so muss ich zusehen,
dass ich noch schneller, unauffälliger und smarter werde. Doch kein Mensch
wird eine Maschine, weder Männer noch Frauen, und manchmal spüre ich...
Nachwirkungen.
Migräne und Herzflattern oder derartige Albernheiten kenne ich nicht, meinem
Körper kann ich vertrauen, und das muss ich auch. Ich kann es mir nicht
leisten, mich mitten in einem Job wegen Menstruationskrämpfen zu empfehlen.
Kraft ist wichtig, ebensowichtig wie Schnelligkeit, und glücklicherweise
gibt es Fitness-Studios - wo ich auch einen Grossteil meiner Kunden
rekrutiere.


Aber ich bin nun mal ein sensibler Mensch. Ich neige nicht zu
Depressionen, doch mitunter, nach drei oder vier Erfolgen, erwischt es auch
gewiegte Fachleute wie mich. Im vergangenen Monat habe ich vier Jobs
erledigt, und diese Woche habe ich in allerschwärzester Stimmung verbracht,
die schlechteste Woche dieses Jahr. Im Mai gab es ein paar ausserordentlich
miese Tage - blühende Bäume, zwitschernde Vögel und grapschende Pärchen
überall sind nicht so gut für die Konjunktur in unsrer Branche - aber diese
Woche war ein einziges Down.
Ich sass drei oder vier Nächte hintereinander am PC, brachte die Daten für
den nächsten Job nicht zusammen - all die fieseligen Informationen über
Zeiten und Ort, wann und wo ich mich in Ruhe mit meinen Kunden treffen kann
- und schüttete mir den Whisky gleich wasserglasweise in den Kopf (beim
Recherchieren trinken liegt drin), starrte auf den blöde blinkenden Cursor
und rauchte zwei Stangen weg (sehr ungesund). Das ist immer ein Zeichen,
dass man kürzertreten muss, wie die Manager es ausdrücken.
Viele meiner Kunden sind mit Managern oder Bankern verheiratet, aber es
gibt Ehemänner aller Couleur, die ganze Brigade vom Müllmann bis zum
Numismatiker.
Ich habe mich zwar aus rein persönlichen, sozusagen ideologischen Gründen
auf Hausfrauen spezialisiert, aber sie sind auch aus rein beruflichen
Gesichtspunkten einfach die angenehmeren Kunden: immer zuhause, gut
erreichbar, leisten wenig Widerstand, sind leise und diskret, und ganz
zuletzt riechen sie besser.
Ich habe mich natürlich auch an Männern versucht, verheirateten und ledigen,
nur so, aus Jux und Neugier - eigentlich unverzeihlich für einen Profi -
aber, Himmel, was machen Männer für ein Trara um die unwichtigsten
Kleinigkeiten! Sie verhandeln und sie versuchen, einen mit Geld zu
bestechen, oder mit Sex - besonders amüsante Erinnerungen - und sie wollen
auch nach der klarsten Argumentation nicht begreifen, worum es bei der
ganzen Sache mit Leben und Sterben geht.
Kurz, ein männlicher Kunde beansprucht im Durchschnitt doppelt (!) soviel
Zeit wie ein weiblicher, und Zeit ist nun mal ein kritischer Faktor. Man
kann jede Sekunde gestört werden, und wenn es mal so weit gekommen ist, muss
man alles stehen und liegen lassen und die Biege machen, und die Arbeit
bleibt unvollendet. Sowas hasse ich.
Ganz abgesehen davon, dass unfertige Arbeit in meiner Branche gefährlich
ist. Von hygienischen und ästhetischen Punkten will ich gar nicht erst
reden. Was Worte betrifft, bleibe ich bei meiner guten Erziehung, und zu
beschreiben, wie ein Raum nach einem unvollendeten Job aussieht, möchte ich
gerne Leuten wie B.E. Ellis überlassen - uäh.
Die persönlichen Gründe für meine Vorliebe - Hausfrauen - sind eigentlich
der langweiligste Teil meines Lebens. Ich möchte es Philosophie nennen, aber
das klingt hochtrabend in meiner Branche, die sich mit so ganz
unakademischer - sagen wir mal organischer - Materie beschäftigt.
Hausfrauen: ausser den erwähnten rein praktischen Vorzügen - immer
erreichbar, still, schnell bedient - ist es offensichtlich, dass sie am
meisten von meiner Arbeit profitieren, und durch sie die Gesellschaft.
Ich bin ein moralisch denkender Mensch, und ich glaube fest, dass jeder mit
seiner Arbeit dazu beitragen soll, dass es Individuum und Gesellschaft so
gut wie möglich geht. Wir haben nur diesen einen Planeten und nur diese
Spezies, und wir alle haben die Aufgabe, beides zu erhalten und zu pflegen.
Berufstätige Männer und Frauen - vor allem natürlich die ledigen - sind wie
ich darauf bedacht, ihr Dasein zu geniessen und zu optimieren, sie tun ihre
Arbeit, kaufen teure Sachen und steigern das Bruttosozialprodukt, während
Hausfrauen bestenfalls ihre Brut im Cro-Magnon-Rollenverhalten aufziehen und
den Dreckrand von der Badewanne kratzen.
Aber ich merke, meine Mission und mein Genius gehen mit mir durch, und das
ist schlecht für die Konzentration. Hundertprozentig durchdachte
Konzeptionen führen bei konsequenten Machertypen wie mir zu Fanatismus, und
Fanatiker können sich nicht konzentrieren, können nicht kühl und gelassen
operieren, und deshalb pfeift jeder Fanatiker früher oder später den Dixie.


Ich lebe für meine Arbeit. Ich muss meine Hände gebrauchen, und die
kognitive Basis ruht still und unveränderlich, abrufbar in schwarzen Phasen,
wenn mein empfindsames Naturell mit der Natur meiner Arbeit kollidiert.
Aber ich brauche nach einem harten Tag nur an die zufriedenen Gesichter
meiner Kunden zu denken, um neue Kraft zu schöpfen. Meine Kunden sind immer
zufrieden - gut, mit dem Gesichtsausdruck muss man manchmal ein wenig
nachhelfen - wenn ich mich rasch und spurlos entferne.
Während meine Arbeit in diese letzte, alles entscheidende Phase tritt - der
unbemerkte Abgang, ausgesprochen schweisstreibend, immer diese Heimlichkeit,
nie werde ich mich daran gewöhnen, versteckt agieren zu müssen, nie werde
ich die Bitterkeit verlieren, nicht offen und frei von neun bis fünf mit
Mittagspause arbeiten zu können... verlange ich denn Unmögliches? Vielleicht
sollte ich doch politisch engagierter werden, über die Gründung einer
Gewerkschaft zumindest nachdenken.
Während ich also flach atmend fliehe, sind meine Kunden entspannt und
endlich allein mit sich, nach Jahren fruchtlosen Sossenrührens,
Kinderärscheabwischens, Geprügeltwerdens, Achselhaarrasierens,
Verhütungsdebattierens, Männerunterhoseneinkaufens... halt. Mein verdammter
Altruismus reitet mich wieder in Fanatismus und falsche Genitive.
Ausserdem ist meine Zeit gekommen. Die Arbeit ruft. Meine Requisiten sind
sorgfältig und unauffällig verstaut, ein Hoch auf die Handtasche, sie könnte
unsre Branche revolutionieren. Es belustigt mich an das ungeschlachte
Werkzeug meiner männlichen Kollegen zu denken: Gewehre, Basketballschläger,
Kettensägen. Ich weiss nicht, was für ein Problem sie mit kleinen Pistolen
haben. Oder mit Skalpellen. Und die Schweinerei, die einige immer am
Arbeitsplatz hinterlassen: Blut, Hirnbatzen, Gedärm. Dilettantisch. Sie
machen immer den gleichen Fehler, sie unterschätzen die Polizei, und den
Gegner unterschätzen ist meiner Meinung nach einfach nur dumm. Sie nehmen
ihre Arbeit nicht ernst genug.
Wenn mich meine Kunden nicht voll und ganz in Anspruch nehmen würden - ich
glaube, ich könnte meinen Kollegen einiges beibringen. In
Weiterbildungskursen oder so. Aber wenn ich an meine Amusetten mit
männlichen Kunden denke... sie sind so unbelehrbar. Sie sind auch dann noch
so unglaublich schlau, wenn das Lächeln des Skalpells oder das Mündchen der
Pistole sich zu ihnen neigt. Sie begreifen nicht, wer wann Herr der Lage
ist.
Meine Stammkundschaft hat damit überhaupt keine Schwierigkeiten. Sie pfeifen
den Dixie, und sie pfeifen ihn schön. Ich weiss, dass es nur an der
Sozialisierung liegt, aber wie gesagt, Theorie langweilt mich, und ich habe
so viel zu tun.
Ich schalte den Computer aus, schlüpfe in meine Arbeitskleidung und rauche
langsam eine Zigarette. Dabei lese ich irgendein Frauenmagazin. Die
Diätrezepte, Schminkvorschriften, Klatschgeschichten aus Hollywood und
Königshäusern, Fortsetzungsromane und Häkelmusteranleitungen zaubern in mein
Gesicht und meine Gedanken die Einfühlsamkeit, die meine Kunden am Ende so
schätzen. Bevor ich gehe, trinke ich eine Tasse Nescafé und mache genau
fünfzehn Kniebeugen.
Wir haben doch alle unsere liebgewordenen kleinen Rituale, um uns in die
rechte Stimmung für unsere Arbeit zu versetzen, nicht wahr?