Editorial

An den 41. Solothuner Literaturtagen erwartet Sie, liebe Besucher*innen mitnichten ein Kater nach dem Jubiläum. Vielmehr brechen wir auf in eine Zukunft, die vielleicht heller, vielleicht düsterer ist als die Vergangenheit, aber bestimmt weiblicher. Diese Gewissheit zieht sich wie ein roter Faden durch das Programm. So widmen wir diesem Thema ein Podium, das sich mit den Strukturen des Literaturbetriebs befasst. Hier wird den Fragen nachgespürt, wer Literatur veröffentlicht, wer liest – und wer am Ende die Preise und die Medienpräsenz erhält. Zwei Autorinnenkollektive – trobadora.montage und Rauf – setzen sich literarisch mit diesem Thema auseinander.

Oft ist die Welt Schall und Rauch, vieles ist unfassbar, mäandriert zwischen scheinbar definierten Kategorien wie Geschlecht, Herkunft, Rolle in der Gesellschaft. Macht das Angst? Entstehen deshalb so viele dystopische Werke? Neben einem Podium zu diesem hocheminenten Thema ist in Solothurn 2019 aus Julia von Lucadous «Die Hochhausspringerin» zu hören – wo die Menschen von Algorithmen kontrolliert werden und keine Freiheit mehr haben. Und was ist mit der Liebe? Spielt die heute überhaupt noch eine Rolle? Darüber ist in Martin R. Deans «Warum wir zusammen sind» zu lesen. Auch mit dieser Frage beschäftigt sich ein Podium.

Womit wir bei der Gegenwart wären, die vieles ist, in jedem Fall aber interkulturell. Zunehmend fliesst die immer rasantere Vernetzung der Welt und der Menschen in die Literatur ein. Etwa in Angelika Overaths Roman «Ein Winter in Istanbul» oder mit Shelley Kästners «Jewish Roulette», in dem die Autorin Spuren des Judentums nachgeht. Aber auch Andreas Niedermanns Kaleidoskop «Blumberg», wo eine bisexuelle Ex-Journalistin im multikulturellen Wien ermittelt  – halb Kottan, halb Kommissarin Lund. 

Sie sehen, der Fächer ist breit. Wir laden Sie ein zu einer hart verhandelten aber – es kann nicht anders sein – subjektiven Werkschau in deutscher, französischer, italienischer und rätoromanischer Sprache, in der die Stars nicht einzelne Personen sind, sondern die Literatur selbst. Und alle, die mit ihr arbeiten: Die eingeladenen Autor*innen aus der Schweiz und dem Ausland sowie die Übersetzer*innen, die uns manche Werke erst erschliessen. 

Im besten Fall ergeht es Ihnen wie uns beim Erarbeiten des Programms. Genuss drängelt sich vor Zweifel, Hinterfragen stellt sich neben Begeisterung – und wenn man abends vor einer der zahlreichen Bars an der Aare sitzt, weiss man, dass es gut ist.

Für die Programmkommission

Pablo Haller