Irene Escher
Manchmal heisst sie Fränzi
Edition Isele, 2001
Aus: Irene Escher. Manchmal heisst sie Fränzi. Edition Isele, 2001
Doch, es mache durchaus Sinn, dass ihr das passiert sei, sie sei ein menschliches Ungeheuer gewesen. Schmerz habe sie zwar gespürt, aber so, als ginge er sie nichts an. Hätte man ihr gesagt, das sei sie, die da weine vor Schmerz, sie hätte nur ungläubig gelacht. Das habe sie gequält, es habe sie verfolgt wie ein böser Traum. Danach habe eine andere Qual begonnen, nichts sei mehr gewesen wie vorher, sie sei ständig zwischen Lachen und Weinen hin- und hergeschwankt, manchmal sei das von einem Augenblick zum andern passiert; sie habe ihr ewiges Grübeln verflucht, ja, es sei ihr wie ein Laster vorgekommen. Sie habe ihren Schmuck zum Goldschmied getragen, sie habe jede einzelne Perle abgetastet, ihre ganze Umgebung habe sie sozusagen abgetastet, das sei lebenswichtig gewesen für sie. Max habe sie gewähren lassen, seine Abschiedsküsse am Morgen seien aber von Tag zu Tag wärmer geworden, das habe sie gebraucht, daran habe sie sich festgehalten durch den Tag. Es sei ihr plötzlich wichtig gewesen, dass die Farbe des Pullovers oder eines Schals ganz genau zu ihrem Gesicht gepasst habe, sie habe nur noch geschluckt, was ihr wirklich geschmeckt habe, und sie habe gewusst, dass Max, wann immer er zu ihr zurückkehren würde, sie küsse. Er habe viel gearbeitet zu der Zeit, oft hätten sie sich tagelang nicht gesehen, sie habe nicht eigentlich gelitten, aber sie habe ihn vermisst. Und sie habe plötzlich Angst gehabt, dass ihm etwas zustossen könne, sie hätte aber verstanden, wenn er nicht zu ihr zurückgekehrt wäre.