Ota Filip (CZ)
Aus: unbekannt
1989
Aus: Ota Filip. Die Sehnsucht nach Procida. 1989
Ist Deutsch für die Tschechen eine Fremdsprache? Für die Tschechen war das Deutsch seit Jahrhunderten keine Fremdsprache, sondern nur eine andere Sprache. Die engen Beziehungen der Tschechen und Mährer zu Bayern und Österreich, die Tatsache, dass in Böhmen und in Mähren bis 1945 über 3 Millionen deutschsprachige Nichttschechen, eher Böhmen deutscher Muttersprache lebten, hat nicht nur die kulturellen Gemeinsamkeiten gefördert. Die grossen Vermittler der tschechischen Literatur waren vor allem deutschsprachige, vorwiegend jüdische Intellektuelle, dazu nur zwei Beispiele: Ohne Max Brods Übersetzungen von Leoš Janáceks Opern wäre der grosse mährische Komponist nicht so bald in der Welt berühmt geworden. Den schlesischen Lyriker Petr Bezruc hätten heute südlich und westlich der mährischen Landesgrenze ohne Rudolf Fuchs Übertragungen seiner Schlesischen Lieder bis heute nur wenige Eingeweihte gekannt.
Die deutsche Sprache, die Übersetzungen tschechischer Lyrik und Belletristik in die deutsche Sprache, waren seit dem 19. Jh bis heute für die tschechische Literatur das Sprungbrett in die Weltliteratur. Das überzeugendste, zeitgenössische Beispiel: Alle Theaterstücke von Vaclav Havel wurden in den Jahren, als der Dichter in seiner Heimat verboten war, nur auf deutschsprachigen Bühnen aufgeführt.