Peter Bichsel

Peter Bichsel, geboren 1935 in Luzern. Er ist Autor von Romanen, Erzählungen, Essays und Kolumnen. Sein Werk wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Schillerpreis 2012. Er lebt in Bellach. (2020)
Werke (Auswahl)
Auch der Esel hat eine Seele.
Suhrkamp Verlag, 2020
Über das Wetter reden. Kolumnen 2012-2015.
Suhrkamp Verlag, 2015
Im Hafen von Bern im Frühling. Kolumnen 2008-2012.
Radius Verlag, 2012
Das ist schnell gesagt.
Suhrkamp Verlag, 2011
Transsibirische Geschichten. Neue Texte, vom Autor erzählt.
Der gesunde Menschenversand, 2010
Über Gott und die Welt.
Suhrkamp Verlag, 2009
Kolumnen, Kolumnen.
Suhrkamp Verlag, 2005
Wo wir wohnen. Geschichten.
Suhrkamp Verlag, 2004
Cherubin Hammer und Cherubin Hammer.
Suhrkamp Verlag, 1999
Zur Stadt Paris.
Suhrkamp Verlag, 1995
Der Busant.
Luchterhand Literaturverlag, 1985
Auch der Esel hat eine Seele
Suhrkamp Verlag, 2020
Die 42. Solothurner Literaturtage fanden aufgrund der Corona-Pandemie online satt.
Wir kennen von ihm seine «Milchmann»- oder seine «Kindergeschichten». Doch Peter Bichsel schrieb in den 1960er Jahren zahlreiche andere Texte: Nachworte, 1. August-Reden, journalistische Beiträge oder die frühesten seiner legendären Zeitungskolumnen. Der Band «Auch der Esel hat eine Seele» versammelt diese zwischen 1963-71 verstreut erschienenen und meist vergessenen Texte und Kolumnen. Sie demonstrieren bereits jenen unnachahmlichen Stil, der Bichsel als einen Meister des Verzögerns von «endgültiger» Erkenntnis auszeichnet. Die Schätze wurden von Beat Mazenauer gehoben und von Peter Bichsel mit einem Vorwort versehen.
Aus: Peter Bichsel. Auch der Esel hat eine Seele. Suhrkamp Verlag, 2020
So urteilen die Leute, wenn sie auch wissen, dass sie das nicht sagen dürfen. Denn sie haben – so behaupten sie – nichts gegen ihn. Sie lassen ihn leben, und sie sind auch oft, aber ganz nebenbei, freundlich zu ihm. Wenn er sagt: «Auch – der – E – sel – hat – ei – ne – See – le.», dann widerspricht ihm niemand. Es gibt sogar besonders freundliche, die wiederholen seinen Satz, und dann schaut er sie entgeistert an, weil er sieht, dass die Leute nicht begriffen haben, dass er etwas anderes sagen wollte.
Do, 14.05. – Mo, 08.06.20
Fr, 22.05.20, 17:00
Über das Wetter reden. Kolumnen 2012-2015
Suhrkamp Verlag, 2015
Seit 1975 hat Peter Bichsel regelmässig Kolumnen geschrieben, fast vierzig Jahre lang. Damit ist nun Schluss. Bichsel schliesst sein Opus magnum, sein funkelndes Erzähluniversum aus sprachlichen Miniaturen mit diesem Band ab.
Aus: Peter Bichsel. Über das Wetter reden. Kolumnen 2012-2015. Suhrkamp Verlag, 2015
Abends haben die Ältesten Geschichten erzählt, um sich selbst und die anderen am Reden zu hindern. Geschichten erzählen, um zu schweigen. Immer wieder dieselben Geschichten.
So kommt es mir vor, wenn ich in den unzähligen Kolumnen, die ich geschrieben habe, herumblättere – immer wieder dieselbe Geschichte, sich im Kreis herum bewegen, das Karussell.
Liebe Leserinnen, liebe Leser, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie mir zugehört haben, dass Sie mit mir geschwiegen haben. Das war mir nie selbstverständlich. Jetzt verabschiede ich mich und versuche, geradeaus zu gehen.
(Aus: Über das Wetter reden. Kolumnen 2012-2015)
Sa, 16.05.15, 20:30
Sa, 15.05.10, 20:30
Kolumnen, Kolumnen
Suhrkamp Verlag, 2005
Aus: Peter Bichsel. Kolumnen, Kolumnen. Suhrkamp Verlag, 2005
Nicht hinfliegen, nicht hinfahren – aber da sein. Es gibt die Legende, die ich selbst unglücklicherweise in die Welt gesetzt habe, dass ich nie in Paris gewesen sei. Sie sei hier endgültig dementiert. Selbstverständlich war ich da, und das schon vor über hundert Jahren mit Balzac, mit Victor Hugo, mit Heinrich Heine, dann mit Hemingway, mit Henry Miller – später mit Nathalie Sarraute, mit Michel Butor, mit Ennio Flaiano. Und wie hatten wir es lustig in der Metro mit Raymond Queneau und seiner Zazie.
Über Paris, wo ich körperlich noch nie war, wüsste ich wesentlich mehr zu erzählen als über Solothurn, weil mir wohl wesentlich mehr über Paris erzählt wurde als über Solothurn.
Und wenn ich mir selbst etwas erzähle, erzähle ich mir in der Regel nicht Geschichten, die ich erlebt habe, sondern Geschichten, die ich gelesen habe.
Allerdings, was ich selbst schreibe, findet in der Regel da statt, wo ich wohne, in Solothurn – so auch meine letzte Kolumne. Ich schrieb davon, wie ich mich freue, wenn mir die Busfahrer zuwinken.
Nun bekomme ich einen Brief von einer Leserin, der Verena K., die mir mitteilt, dass sie durch meine Kolumne erinnert wurde an eine Geschichte aus der «Menschlichen Komödie» von William Saroyan. Mehr schreibt sie darüber nicht, aber sie schickt mir die Geschichte, die in Ithaka in Kalifornien spielt. Sie hat wegen meiner Kolumne eine lange Reise gemacht, zurück zu einer Geschichte, die ihr lieb ist. Vielleicht war auch sie nie in Kalifornien.
Eine wunderschöne Geschichte übrigens vom kleinen Jungen Ulysses, der dem Lokomotivführer zuwinkt. Der aber winkt nicht zurück.
Nein, so kurz ist die Geschichte nicht, und Verena hat sie sogar lang, sehr lang gemacht. Sie hat sie Wort für Wort von Hand abgeschrieben, mit schön lesbaren Blockbuchstaben, acht Seiten lang. Offensichtlich ist sie eine echte Leserin, Lesen macht das Leben langsam, wer lesen will, muss die Langsamkeit lieben. Und wenn sie die Geschichte abschreibt, dann wird die Geschichte lang wie eine Reise, eine Reise nach Ithaka, Kalifornien, wo sie spielt.
So, 08.05.05, 17:00
Cherubin Hammer und Cherubin Hammer
Suhrkamp Verlag, 1999
So, 16.05.99, 13:30
Aus: Der Busant
Denn nicht jenes sind die Geschichten, die sich selbst erzählen, sondern nur jene, die uns an Geschichten erinnern. (Programmheft 1986)
Und alle, die einmal hier waren, kehren zurück, immer wieder, man kommt gern zurück nach Solothurn und jedes Mal ein bisschen älter. Und Niklaus Wengi sitzt rum und versucht, sich ans 16. Jahrhundert zu erinnern, ist Mitglied der Altstadtkommission und verlangt an der Sitzung ausdrücklich und mit Nachdruck, dass sie schön werde, diese Stadt, so dass man werde stolz sein dürfen, und dass die Fremden kommen, dass endlich jemand kommt, der nicht schon da war... Und die Stadt Solothurn heisst die Delegierten des eidgenössischen Sängervereins willkommen, der Stadt Solothurn ist es eine Ehre, dir Schweizer Unteroffizierstage durchzuführen, die Schriftsteller sind in Solothurn, die Cinéasten sind in Solothurn, Napoleon war da und Casanova, und alle kommen wieder, und alle sind von hier...
So, 28.05.95, 13:30
Der Busant
Luchterhand Literaturverlag, 1985
Aus: Peter Bichsel. Der Busant. Luchterhand Literaturverlag, 1985
Denn nicht jenes sind die Geschichten, die sich selbst erzählen, sondern nur jene, die uns an Geschichten erinnern. (Programmheft 1986)
Und alle, die einmal hier waren, kehren zurück, immer wieder, man kommt gern zurück nach Solothurn und jedes Mal ein bisschen älter. Und Niklaus Wengi sitzt rum und versucht, sich ans 16. Jahrhundert zu erinnern, ist Mitglied der Altstadtkommission und verlangt an der Sitzung ausdrücklich und mit Nachdruck, dass sie schön werde, diese Stadt, so dass man werde stolz sein dürfen, und dass die Fremden kommen, dass endlich jemand kommt, der nicht schon da war... Und die Stadt Solothurn heisst die Delegierten des eidgenössischen Sängervereins willkommen, der Stadt Solothurn ist es eine Ehre, dir Schweizer Unteroffizierstage durchzuführen, die Schriftsteller sind in Solothurn, die Cinéasten sind in Solothurn, Napoleon war da und Casanova, und alle kommen wieder, und alle sind von hier...