Samiha Chrais (JO)

ist Journalistin und arbeitet als Korrespondentin für arabische Tageszeitungen in Kairo, London, Paris und Beirut. Heute leitet sie die Kulturredaktion der jordanischen Tageszeitung «Al-Rai». Sie hat mehrere Bände mit Kurzgeschichten und acht Romane veröffentlicht. 2003 erschien ihr «Books of the Flood», das auch ins Spanische übersetzt wurde und 2006 den Literaturpreis «Abu Al Quasem Al Shabi» in Tunesien gewann. (2006)
Aus: Was die Seide erzählt. Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich
Roter Seidentaft. Eine Vermischung, die ich nicht mag. Ich, die Seide, auch Taft oder Satin genannt, kann ja diese peinliche Verwechslung verstehen, wenn sie normalen Sterblichen unterläuft, Leuten also, denen alles eins ist und die nicht begreifen, dass Namen etwas bedeuten. Dass aber Stoffhändler wie Badîr, al Homssi oder Abu Kûra in ihren Geschäftsbüchern festhalten, ich sei Taft, das ist unverzeihlich, zumindest bei Experten und Kennern wie ihnen. Wenn sie bei der Materialbestimmung in Verlegenheit geraten, so verbergen sie ihre Verwechslung und ihre Ungenauigkeit hinter einem schwungvollen Schriftzug, den sie mit Bravour aufs Papier legen - dank der Lehrer und der linierten Schönschreibhefte von einst. Sie nennen mich Seidentaft, dies genau so zu Unrecht wie die Geografen behaupten, die Seidenstrasse verlaufe durch die heissen Länder. Die Seide, von der nur die chinesischen Gelehrten etwas von verstehen und die vom hohen Norden kommt und die Schnee- und Eisländer durchquert bis nach Island, durch das ihre Strasse wirklich verläuft und von wo aus sich ihre Bezeichnung silk über die ganze Welt verbreitet, diese Seide, das bin ich, das Andere, das Schwerverständliche, das nicht klar Fassbare, das Weiche, das nur schwer zu greifen ist. Falsch lagen die Araber, die alles Durchsichtige als Seide bezeichneten. Die Seide ist ein zartes Wesen, aber sie ist fest und klar. Zweideutigkeit erträgt sie nicht. Sie ist nicht durchsichtig und nicht kategorisierbar. Sie ist an sich.