Silvio Blatter
Die Glückszahl
Frankfurter Verlagsanstalt, 2001
Aus: Silvio Blatter. Die Glückszahl. Frankfurter Verlagsanstalt, 2001
Ohne Jodie hätte jener Sommer, von dem ich glaubte, er sei längst überstanden und vorbei, ein anderes Gesicht und andere Farben gezeigt, andere Spuren und andere Prägungen hinterlassen. Der Zufall führte uns zusammen, das Schicksal zwang uns auseinander. Ohne meine damalige Freundin hätte die unglückliche Geschichte weder einen Anfang haben noch sich entfalten können, wären die Verstrickung und das furchtbare Ende nicht möglich gewesen.
Schon im ersten Augenblick, da, als ich Jodie erkannte, glaubte ich zu stolpern, ja den Boden unter den Füssen zu verlieren. Zuerst kreuzt der Freund, der Künstler, meinen Weg, dann treffe ich auf Jodie: Ein Wink? Und wenn es ein Wink war, wozu? Den früheren Weggefährten, den Künstler, zu entdecken, war eine Überraschung, aber kein Schock, wir hatten uns ohne Streit auseinander gelebt, schleichend. Das Wiedersehen mit Jodie aber erschütterte mich. Benommen, gleichzeitig innerlich aufgewühlt, stand ich auf der Rolltreppe, auf der nächsten schon, und auf der folgenden. Im obersten Stockwerk angelangt, kam ich wieder zu mir, um gleich wieder Rolltreppe um Rolltreppe nach unten zu fahren, wie paralysiert, unfähig, etwas anderes zu tun. Die Vergangenheit hatte sich erneut Bahn gebrochen, die unter Verschluss gehaltene Erinnerung an jene Zeit, an jene Sommerliebe zunächst.
So, 27.05.01, 10:30
Wassermann
1986