Ilija Trojanow (DE)

Geboren 1965 in Sofia/Bulgarien. 1971 floh er mit seiner Familie nach Deutschland. Nach Aufenthalten in Afrika und Asien lebt er heute als Schriftsteller, Übersetzer und Verleger in Wien. Er ist ein wichtiger Vermittler zu den aussereuropäischen Literaturen. (2017)
Werke (Auswahl)
Nach der Flucht.
S. Fischer Verlag, 2017
Meine Olympiade. Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen.
S. Fischer Verlag, 2016
Macht und Widerstand.
S. Fischer Verlag, 2015
Der überflüssige Mensch.
Residenz Verlag, 2013
Die Versuchungen der Fremde. Unterwegs in Arabien, Indien und Afrika.
Malik, 2011
Die Welt ist gross und Rettung lauert überall.
Carl Hanser Verlag, 1996
Nach der Flucht
S. Fischer Verlag, 2017
Vor autobiografischem Hintergrund zeichnet der in Sofia geborene deutsche Autor Ilija Trojanow eine genaue Topografie des Lebens nach der Flucht und gibt aktuelle Einblicke in ein existenzielles Schicksal, das die Gegenwart vielerorts bestimmt.
Aus: Ilija Trojanow. Nach der Flucht. S. Fischer Verlag, 2017
In einer Hauptstadt des Westens: ein Mann mittleren Alters, der die besten Jahre seines Lebens in den Gefängnissen einer Diktatur verbrachte hatte, der nach seiner Freilassung aus der Haft über die Grenze geflohen war. Es gab keinerlei Zweifel an seinem Asylbegehren. In einem hochmodernen Großraumbüro eines weltweit agierenden Konzerns fragen ihn die höflichen, zuvorkommenden Kollegen eines Tages während der Kaffeepause nach seinen Erfahrungen in der Haft. Er schildert Folter, er schildert Hunger, er schildert Angst. Ach so, sagen sie, und fragen nie wieder nach.
Fr, 26.05.17, 14:00
Fr, 26.05.17, 17:00
Sa, 27.05.17, 17:00
Die Welt ist gross und Rettung lauert überall
Carl Hanser Verlag, 1996
Aus: Ilija Trojanow. Die Welt ist gross und Rettung lauert überall. Carl Hanser Verlag, 1996
So wurde Alexandar Luxow geboren, und ich vermute, auch Sie. Aus einem Wurf heraus, in einen Wurf hinein. Und dann mussten Sie, so wie er, versuchen, das Beste daraus zu machen. In seinem Fall war der Wurf brauchbar, eine solide Eröffnung: schnelle Gehirnzellen langsame Beine weisse Haut schwarze Haare und ein Zuhause am Rande Europas, dort wo es endet, und doch noch nie begann. Seine Mutter erahnte das Glück und wollte sich dessen so sicher sein, wie in der Fantasie nur möglich. Sie vertiefte sich noch vor der Geburt so sehr in die Vorstellung, was für ein prachtvolles Leben (muss ich Ihnen das erklären? Ein Topf voller Gesundheit und Geld, ein Beruf namens Anwalt oder Arzt, keine Überraschungen hier) ihrem Kind bevorstand - ihre Nachbarinnen schrien und stöhnten derweil -, dass sie ihre Aufgabe ganz vergass, Alexandar erst einmal zur Welt zu bringen. Sie merkte seine Ungeduld nicht, auch nicht, wie er seinen Kopf herausstreckte und aus eigener Kraft in den dunkel gekachelten Saal strebte. Eine vorbeieilende Krankenschwester erblickte den flaumigen Hinterkopf, rief lautstark den Arzt herbei und schimpfte während der Herausnahme vor sich hin... sowas habe ich noch nie erlebt, wieso sagen Sie denn nichts, zwanzig Jahre bin ich schon hier, aber sowas …