Ingeborg Harms (DE)
Hard Drive. Drei Videos
1992
Aus: Ingeborg Harms. Hard Drive. Drei Videos. 1992
Doch an diesem Morgen war Rudi zu erschöpft für theoretische Scharmützel. Er hatte seinen Hund, Hans-Dietrich, schon vor dem ersten Frühstück zur Euthanasie ins Bio-Institut gebracht, weil er dort Fakultätsrabatt bekam. Vor der Haustür erreichte ihn ein Einschreibebrief von seiner Freundin Elke, einem dänischen Au-Pair- Girl, die ihm seit einem halben Jahr zu seinem unverminderten Entsetzen orthographisch falsche, aber erotisch unzweideutige Sonette schickte, die ab und zu von zeitpolitischen Maximen unterwandert wurden. Seit sechs Wochen, pfiff Rudi bitter durch die Zähne und liess das Schreiben dabei auf den Knien wippen, sei von ihr nichts mehr gekommen, und jetzt dies. Er fummelte entnervt an einem Dosenöffner und spielte ungeduldig mit den Fernsehknöpfen. Aber alles, was er finden konnte, war ein Marathon unter den Linden, am Reichstagseck vorbei. Sie riet ihm, einfach bei ihr anzurufen, worauf Rudi plötzlich aufsprang, als habe sie ihn hinterrücks an etwas anderes erinnert. Von da an war er wieder fest im Sattel. Er nahm leise summend Harrys Weihnachtstruthahn aus und reinigte den Mikrowellenofen mit einem Sprühzeug aus der Tasche.
Während er zum dritten Male fragte, ob sie gut geschlafen habe, ging auf dem Klo das Telefon. Es sirrte scheu und fing dann an zu quengeln. Harry schnappte nach dem Hörer, wobei er mit der Grazie eines Dinosauriers, der im Tunnel wendet, rückwärts aus dem Bad gestossen kam.