Katharina Hacker (DE)

Geboren 1967, lebt in Berlin. (2012)
Werke (Auswahl)
Eine Dorfgeschichte.
S. Fischer Verlag, 2011
Eine Dorfgeschichte
S. Fischer Verlag, 2011
Als sie selbst kleine Kinder hat, kehrt Katharina Hacker ins ehemalige Dorfschulhaus im Odenwald zurück, in dem sie die Sommer ihrer Kindheit verbrachte. Die vertrauten Wege wecken ein körperliches Gedächtnis: Spiele, Szenen, Stimmungen. Die Erinnerung, sie kann nicht anders, flicht Geschichten drum herum: Von den Grosseltern, die als Vertriebene im Dorf immer fremd bleiben. Von den Geschwistern, die in der Stadt wohnhaft, aber im Dorf heimisch waren. Kindheitsgeschichte, Familiengeschichte, Zeitgeschichte, «Dorfgeschichte».
Aus: Katharina Hacker. Eine Dorfgeschichte. S. Fischer Verlag, 2011
Am Tag gingen wir in den Wald und spielten Brüderchen und Schwesterchen, Frederik war das Reh, ich schlang ein rotes Band um seinen Hals, führte ihn spazieren. Das Laub war dichter als in anderen Jahren. Der Wald war dunkler. Das rote Band war noch von Weihnachten. Ich führte ihn jeden Tag spazieren, aus dem Dorf hinaus, über die Felder und in den Wald, wir sangen alle Lieder, die wir kannten, wir mühten uns, nicht einen Zweig knacken zu lassen, am Echo schlichen wir stumm vorbei, riefen keinen Namen, wir lauschten nur, einmal trafen wir meine Grossmutter im Unterholz, sie sammelte Blaubeeren, hörte uns, rief mutig: Wer ist da?, doch als sie um meines Bruders Hals die rote Spur leuchten sah, wurde sie blass. Was tut ihr euch an! Dann musste sie lachen. Blass war sie doch. Wir setzten uns zu dritt ins Moos und assen alle Beeren, die sie gesammelt hatte, nach Hause durfte sie Brüderchen am roten Band führen.