Li Mollet
Geboren 1947 in Aarberg. Sie schreibt lyrische Prosa, Essays, Gedichte und Geschichten für Kinder und veröffentlichte pädagogische Schriften für den Sprachunterricht von Migrant*innen. Sie lebt in Spiegel bei Bern. (2021)
Werke (Auswahl)
Die Augen reiben.
Mäd Book, 2020
nichts leichter als das.
Edition Howeg , 2003
Die Augen reiben
Mäd Book, 2020
In streng gegliederten und formal definierten Miniaturen folgt Li Mollet namenlosen Personen, erzählt kurze Dialoge, beschreibt Szenarien, Gegenstände und Alltagsbeobachtungen. Als Leser*in ständig dazu animiert, die Miniaturen in eine durchgängige Erzählung – ist es eine Liebesgeschichte? Geht es um eine Trennung? Wessen Kind ist das? – zu packen, werden unsere Gewohnheiten herausgefordert und mit einer neuen Offenheit reich beschenkt. Literatur an der Grenze von Prosa und Lyrik.
Die Veranstaltungen der 43. Solothurner Literaturtage fanden aufgrund der Corona-Pandemie hauptsächlich als Video- und Audio-Livestreams sowie Zoom-Veranstaltungen statt.
Aus: Li Mollet. Die Augen reiben. Mäd Book, 2020
Ich versuche, den Augenblick zu dehnen, sage ich und nehme etwas Abstand. In seiner Hand ein tropfender Pinsel. Rote Tupfen vor seinem Schuh. Das Kind legt den Finger auf die Lippen und zeigt zum Fenster. Ein Vogelpaar füttert seinen Nachwuchs zwischen Jalousie und Mauervorsprung. Schliesst die Augen, sagt das Kind, sonst sehen sie uns. Ich erwäge, was ausserdem dem Blick verborgen bleibt. Im Innenraum der unerzogenen Gedanken fällt Schnee, ab und an stürmt es.
Sa, 15.05.21, 20:00
So, 16.05.21, 10:00
nichts leichter als das
Edition Howeg , 2003
Aus: Li Mollet. nichts leichter als das. Edition Howeg , 2003
Es gibt viele Dinge die gewöhnlich sind, und die meisten tun sie. Charlotte flüchtet aus den Räumen, welche klein sind, niedrig oder eng. Aber da bleibt sie stehen. Von hier aus kann sie den Park überblicken. Und sie sieht etwas. Gegenüber spielt der Junge mit der Pistole, die Wohnung liegt im zweiten Stock. Er geht hinter dem Sofa in Deckung, kriecht zur anderen Seite ganz nahe ans Fenster. Zielt. Peng!, daneben, welch ein Glück und trotzdem die Panik. Alle rennen zum Treppenhaus. Niemand hindert mich daran, die möglichen Umwege zu machen. Charlotte lächelt, wenn sie so etwas sagt.
Die Zettel liegen am Boden, wie hingestreute Hochzeitsblumen, sagt Charlotte. Muss das sein, fragt Leonard, kratzt sich im Haar und möchte doch gerne eintreten. Die Tür ist nur angelehnt. Der Tisch in der Mitte wäre breit genug, um die Ellenbogen neben dem weissen Blatt aufzustützen. Der Stuhl davor, ein Holzmodell mit verzierter Lehne. Durch die Wände schimmert gedämpftes, grünlich weisses Licht. Charlotte wendet den Blick und folgt ihnen bis zur Decke. Die Biegung nach oben hin verrät ihre Dünnwandigkeit. Als wären sie aus Papier, sagt Charlotte und fühlt Behaglichkeit aufsteigen.