Lukas Bärfuss

Lukas Bärfuss, geboren 1971 in Thun. Er schreibt Romane, Dramentexte, Erzählungen, Essays und ist als Dozent für Dramaturgie an der Hochschule der Künste Bern tätig. Sein Werk wurde 2019 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Er lebt in Zürich und Paris. (2020)
Werke (Auswahl)
Malinois.
Wallstein Verlag, 2019
Krieg und Liebe. Essays.
Wallstein Verlag, 2018
Hagard.
Wallstein Verlag, 2017
Stil und Moral. Essays.
Wallstein Verlag, 2015
Koala.
Wallstein Verlag, 2014
Malaga - Parzival - Zwanzigtausend Seiten. Stücke.
Wallstein Verlag, 2012
Zur Zeit (Anthologie).
Wallstein Verlag, 2010
Öl.
Wallstein Verlag, 2009
Hundert Tage.
Wallstein Verlag, 2008
Eine feine Nase, in: ZeitSchrift 1/2000.
2000
Übersetzungen (Auswahl)
Lukas Bärfuss. Hagard.
Übersetzt von Lionel Felchlin.
Editions Zoé, 2018
Malinois
Wallstein Verlag, 2019
Die 42. Solothurner Literaturtage fanden aufgrund der Corona-Pandemie online satt.
Zuhause fühlen sich die Figuren in Lukas Bärfuss’ Erzählungen besonders unbehaust: Ein Mann versteckt sich im Keller vor seiner Familie, weil er auf dem Heimweg vom Fahrrad gestürzt ist, ein anderer beobachtet, wie der alte Alfa Romeo in seinem Garten den Nachbarn provoziert. Die 13 Erzählungen aus über 20 Jahren wirken durch ihre ungeglättete Offenheit abgründig. Der Dramen- und Romanautor verfasst und versammelt in «Malinois» faszinierend eigenwillige Kurzprosa.
Aus: Lukas Bärfuss. Malinois. Wallstein Verlag, 2019
Erinnerungen an den Dramatiker Martin Babian
(…) Leibhaftig sah ich Babian zum ersten Mal an den Solothurner Literaturtagen vor einigen Jahren. Ich hatte an jenem strahlenden Maitag zum ersten Mal im Landhaussaal, gelesen, vor grossem Publikum, mit Erfolg, ich darf es sagen, und abends traf sich der versammelte literarische Betrieb zum jährlichen Bankett der Autoren. Das Besondere dabei: Es gab ausschliesslich kaltes Fleisch. Roastbeef, kalter Braten, Siedfleisch, Vitello Tonnato - sonst nichts, kein Gemüse, keine Kartoffeln, ausschliesslich Fleisch, und dazu bloss Rotwein, ein lokaler, guter, so gut die lokalen Weine eben sein können. Du hast es geschafft, lieber Freund, sagte ich zu mir, höher gehts in deinem Beruf nicht, ein Bankett aus reinem Fleisch, dies ist der Dichterhimmel, und hier ist Endstation. Falls du noch eine Herausforderung suchst, dann wirst du dich anderweitig umsehen müssen. (…)
Do, 14.05. – Mo, 08.06.20
Fr, 22.05.20, 19:00
Hagard
Wallstein Verlag, 2017
Aus dem flüchtigen Blick auf zwei pflaumenblaue Ballerinas wird eine zunächst spielerische Fährtenlese, die den Verfolger am Ende um Kopf und Kragen bringt. Bärfuss zeichnet das Abtauchen eines Endvierzigers in die vegetativen Niederungen des Stalkings nach. Es entsteht dabei ein Text mit grosser, beunruhigender Sogkraft.
Aus: Lukas Bärfuss. Hagard. Wallstein Verlag, 2017
Seit viel zu langer Zeit versuche ich, Philips Geschichte zu verstehen. Ich will das Geheimnis lüften, das in ihr verborgen ist. Ein ums andere Mal bin ich gescheitert und konnte das Rätsel jener Bilder nicht entschlüsseln, die mich heimsuchen, Bilder der Grausamkeit und der Komik, wie in jeder Erzählung, in der das Begehren auf den Tod trifft.
Ich weiß alles, und ich begreife nichts. Ich kenne die Abfolge der Ereignisse. Ich weiß, wie die Geschichte anfängt, ich kenne den Tag und ich kenne den Ort: Es ist der Brezelstand vor dem Warenhaus beim Bellevue.
Fr, 26.05.17, 18:00
Sa, 27.05.17, 13:00
Lukas Bärfuss hat ein «gewerbliches» Interesse an der Gesellschaft: Zum einen ist sie sein Stoff, zum anderen sein Abnehmer. In seinen Essays äussert er sich als feinsinniger Beobachter wie auch leidenschaftlicher Analytiker. Bärfuss liest aus unveröffentlichten Texten – über Krieg, Liebe und Zukunft.
Zitat von Michel de Montaigne im Vorwort zu seinen Essais, 1580
Der Leser sieht hier meine Fehler ungeschminkt aufgezeigt, die mir angeborene Art mit ihren Unvollkommenheiten wiedergegeben, soweit die Rücksicht auf die Öffentlichkeit das zuliess.
Fr, 06.05.16, 20:00
Sa, 07.05.16, 16:00
Koala
Wallstein Verlag, 2014
Ein Mensch begeht Selbstmord und gibt seinem Bruder ein Rätsel auf. Fragen nach den Ursachen stossen auf Unverständnis und Ablehnung. Vielleicht würde das Totemtier des Bruders, das ihm seinen Übernamen gab, Antworten liefern, denkt der Bruder. So versucht er in einem grossen erzählerischen Bogen zu ergründen, was es mit diesem Tier und mit seinem Bruder auf sich hat.
Aus: Lukas Bärfuss. Koala. Wallstein Verlag, 2014
Man hatte mich in meine Heimatstadt geladen, damit ich einen Vortrag über einen deutschen Dichter halte, der zweihundert Jahre früher, an einem Tag im November, am Wannsee in Berlin eine Mulde gesucht und danach seiner Freundin Henriette Vogel ins Herz und schliesslich sich selbst eine Kugel in den Rachen geschossen hatte.
Fr, 30.05.14, 10:00
Zur Zeit (Anthologie)
Wallstein Verlag, 2010
Lukas Bärfuss, einer der meist gespielten deutschsprachigen Dramatiker, befasst sich in seinem ersten Roman «Hundert Tage» mit dem Völkermord in Ruanda und der Rolle der Entwicklungshilfe. David Hohl, Mitarbeiter der Schweizer Entwicklungshilfe, ist nach Ausbruch der Unruhen zurückgeblieben und versteckt sich hundert Tage in seinem Haus. Nach der Rückkehr in die Schweiz reflektiert er über seine Beziehung zu Agathe, der Tochter eines hohen Regimevertreters und über eine katastrophal gescheiterte Entwicklungshilfe.
Aus: Lukas Bärfuss. Zur Zeit (Anthologie). Wallstein Verlag, 2010
Aber muss man nicht zuerst ein Bewusstsein haben, bevor man es verändern kann? Ja, das mag sein, aber die Betrachtung von Goyas Radierungen ,Die Schrecken des Krieges' schafft im Betrachter erst in zweiter Linie ein Bewusstsein für die Gräuel eines bewaffneten Konfliktes. Zu allererst schaffen Kunstwerke ein Bewusstsein für die Möglichkeiten der Kunst. Kunst ruft zur Kunst auf und wer einen Roman zu Ende gelesen hat, fragt sich nicht, wie er die Welt verändern kann, sondern welches Buch er als nächstes lesen soll.
So, 16.05.10, 14:00
Hundert Tage
Wallstein Verlag, 2008
Lukas Bärfuss wirft mit seinen Theaterstücken und Prosaarbeiten einen kühlen und nüchternen Blick auf Fragen unserer Zeit, auf die ethischen und moralischen Versäumnisse unserer Gesellschaft. Waren in den Stücken Behindertensex, Zwangspsychiatrie oder Sterbehilfe die Themen, so geht es in „Hundert Tage“ um den Völkermord in Ruanda — ein minutiös recherchierter Roman über Menschen, die das Gute wollen, aber das Böse schaffen, eine Geschichte der Liebe in Zeiten des Krieges, vor allem aber eine aufwühlende Auseinandersetzung mit einem der düstersten Kapitel der neueren Geschichte.
Aus: Lukas Bärfuss. Hundert Tage. Wallstein Verlag, 2008
Der wichtigste Grund für unsere Liebe zu diesem Land war nach Misslands Ansicht die Tatsache, dass es hier keine Neger gab. Die Menschen sahen zwar aus wie Neger, hatten schwarze Haut und krause Haare, aber in Wirklichkeit waren es afrikanische Preussen, pünktlich, die Ordnung liebend, von ausgesuchter Höflichkeit. Sie spuckten niemals auf den Boden, hassten Musik und waren ganz miserable Tänzer. Und vor allem funktionierte ihr Staatswesen, sie taten, was immer die Abagetsi, die großen Tiere, ihnen auftrugen, und sie verrichteten die Arbeit zuverlässig und ohne zu murren.
Sa, 03.05.08, 17:00
So, 04.05.08, 15:00
Eine feine Nase, in: ZeitSchrift 1/2000
2000
Aus: Lukas Bärfuss. Eine feine Nase, in: ZeitSchrift 1/2000. 2000
Sie sassen im Speisesaal. Sie sassen schon lange. Sie waren in Cully. Tim war da, weil ihn Dennler in das Haus seines Vaters eingeladen hatte. Dann war in der Nachbarschaft eingebrochen worden. Man hatte Tim verdächtigt. Die Polizei war gekommen. Dennlers Vater war gekommen. Tim war wieder auf der Strasse gestanden. Jetzt, wo ich schon einmal hier bin, hatte sich Tim gesagt und ausserhalb von Vevey ein Zimmer genommen. Das war vor achtzehn Monaten gewesen. In der nächsten Zeit hatte er Lastwagen mit Schreibpapier beladen und als Gärtner gearbeitet. Den Winter hatte er im Innern eines Mercedes verbracht, als Fahrer eines alkoholkranken Bauunternehmers. Es war dessen Französisch, das Tim sprach, und im folgenden Frühjahr war er in Le Pont, am schwarzen Lac de Joux gewesen und hatte bis in den Sommer hinein einem Fischer geholfen, die Fische auszunehmen. Dann war Tim die Ausflügler und ihre spitzen und gefrässigen Mäuler leid gewesen und war zurück an den grossen See und zu den Winzern gefahren. Die Winzer waren fröhliche Menschen, und sie bezahlten miserabel. Jetzt, Ende Oktober, war die Arbeit getan, die Hofeinfahrt aufgeräumt, der Besen weggestellt. Der Winter stellte seine Frage. Tim wusste keine Antwort; er mochte nicht wieder fahren.
(Aus: Eine feine Nase, in: zeitschrift)